Gendern
grenzt
aus
Proletarier*innen aller Länder vereinigt Euch!
Gendernder Marx
Gendersprache wird – auch wenn das nicht beabsichtigt ist – auf lange Zeit ein soziales Unterscheidungsmerkmal sein. Akademisch Gebildete werden das Gendern – mit all seinen Tücken und Sprechfallen – vielleicht einigermaßen beherrschen.
Weniger Gebildete werden das nicht können. Erst recht ist Gendersprache keine „leichte Sprache“ für geistig Behinderte oder von Demenz betroffene Senioren. Und sie erschwert die Integration von Zuwanderern.
Die Gesellschaft zerzällt in „Sprechzonen“
Im Moment erleben wir, wie der Sprachgebrauch in der Gesellschaft zunehmend auseinanderfällt. Es gibt jetzt drei Zonen des Sprechens. Im Privaten reden die meisten Menschen wie bisher. Noch immer holt „einer“ den Kaffee. Auf Webseiten, in den sozialen Medien und in offizieller schriftlicher Kommunikation wird von vielen schon gegendert. Hier und da wimmelt es bereits von „Follower*innen“, Ärzt*innen“ oder auch „Berufsverbrecher*innen“. Im öffentlichen Reden – etwa bei uns in Hörfunk und Fernsehen – suchen viele nach sprechbaren Kompromissen. Manch einer gendert, manch einer nicht, manche tun es inkonsequent. Wer oft genug die „Beitragszahlerinnen und Beitragszahler“ genannt hat, leistet sich dann vielleicht mal einen einfachen „Steuerzahler“.
Die Gendersprache ist immer dann erträglich, wenn sie inkonsequent angewendet wird. Aber ist das sinnvoll? Werden die Aktivist*innen uns das durchgehen lassen? Es ist ja in sich schlüssig, konsequentes Gendern zu fordern. Denn wenn „Beitragszahler“ nur noch Männer sein sollen, kann man nicht zwischendurch behaupten, jetzt gehe es bei den „Steuerzahlern“ um Menschen aller Geschlechter. Es wäre dann – im Gegensatz zu früher – geradezu ein bewusstes Ignorieren der Frauen und Nicht-Binären. Und es würde systematisch für Missverständnisse sorgen. Wer weiß schon, ob jemand gerade „gerecht“ oder „ungerecht“ redet?
Regelhafte Regellosikeit mit „Streufemina“ und „Streumaskulina“
Übrigens: Es droht sogar Verwirrung mit System – aufgrund der oft vorgeschlagenen „Streufeminina“ und „Streumaskulina“. So soll man laut Gender-Leitfäden durchaus formulieren: „Viele Ärztinnen in Deutschland klagen über zu lange Arbeitszeiten. Und den Pflegern geht es nicht besser.“ Damit sollen dann alle Ärzte und Pfleger jeden Geschlechts gemeint sein. „Ärztinnen“ soll also wie „Ärzte“ mal generisch und mal geschlechtsspezifisch verstanden werden. Sorry, aber wer soll da am Ende noch durchblicken? Wer jemals mit geistig Behinderten oder dementen Senioren zu tun hatte, wird unmittelbar spüren: Regelhafte Regellosigkeit ist diskriminierend. Und in der Alltagssprache sind solche Verteilungen nach politischen Kriterien absolut unpraktikabel. Wer will permanent darauf achten, ob er auch zu 50% generische Feminina und zu 50% generische Maskulina verwendet?
Der Glaube vieler Anhänger des Genderns an die Macht der Sprache hat etwas Unheimliches. Denn wie Sprache genau wirkt, ist wissenschaftlic keineswegs geklärt. Der Glaube an die Macht der Sprache beruht darum zum großen Teil auf Unterstellungen: „Wir nehmen Dir die Worte für das Böse und dann wirst Du ein besserer Mensch sein!“ Das Problem: Das Böse sucht sich seine Worte. So hielten es manche für geboten, etwa das Wort „behindert“ zu ersetzen durch Begriffe wie „anders begabt“. Aber wie verstehen wir einen solchen Begriff heute, wenn es etwa auf einer Party heißt? „Ja ja, der ist anders begabt!“ Natürlich in dem Sinne: „Den nehme ich nicht für voll!“ (Und niemand behaupte, solcherlei „Sprachspiele“ niemals zu nutzen.)
Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.
Auch wieder von Karl Marx
Die neue übertriebene Sittsamkeit in der Sprache lenkt den Fokus weg von dem, was eigentlich zählt: den unterschiedlichen Interessen in einer Gesellschaft. Altlinke würden sagen: den Produktionsverhältnissen. Das meine ich nicht als plumpe Kapitalismuskritik. Wir alle sollten uns öfter fragen. Welches Interesse habe ich? Denn das Sein bestimmt in aller erster Linie das Bewusstsein. Aus ihr resultiert die „Haltung“. Wir sollten uns fragen: Welchem sozialen Druck fühle ich mich ausgesetzt – und sei es schlicht, um gemocht und nicht verdächtigt zu werden. Was ist sozial erwünscht? Wo dient es meinem Interesse, mich anzupassen? Wer hat Macht über mich?
Auf dem Weg in die befangene Gesellschaft
Und wir sollten nicht vergessen: Auch die „Kultur des Verbots“ und der moralischen Vorschriften „wirkt“. Sie sorgt für ständige Befangenheit, fördert opportunistische Anpassung. Es reicht plötzlich nicht mehr, sich zum Guten zu bekennen und im direkten Umgang mit anderen danach zu handeln.
Wer sich „falsch“ ausdrückt, macht sich verdächtig: „Was will er in Wahrheit sagen? Welchem Geist hängt er in Wahrheit an?“ Demokratie, Gerechtigkeit, Fortschritt aber brauchen Unbefangenheit. Die Leute beim Wort zu nehmen, sollte seltener heißen, ihre Worte zu interpretieren. Es wäre besser, öfter einfach nachzufragen: „Wie genau meinst Du das?“ Und vielleicht sollten wir der Antwort dann auch öfter glauben. Wenn wir hinter die Kulissen schauen wollen, dann lasst uns nach den Interessen schauen. Und am besten beginnen wir damit stets bei uns selbst.
Herzlichen Dank für diese hervorragenden Beiträge. Ja, gendern grenzt aus! Das weiß jeder, der blinde Menschen kennt, die auf Vorlesesysteme angewiesen sind. Gespräche mit Betroffenen haben mir gezeigt, dass sie viele Sätze oft mehrfach in unterschiedlichen Geschwindigkeiten vorlesen lassen müssen, um den Sinn erfassen zu können. Häufig führt ein angehängtes :innen in die Irre, weil eine Ortsangabe vermutet wird, die aber ausbleibt. Zitat: „Wir haben es schon so schwer im Leben, warum muss man es uns noch schwerer machen?“
Wie sich das anhört, verdeutlicht übrigens diese MP3 Aufnahme:
https://drive.google.com/file/d/1UuAudjiS28mFxg2EkaZtxFiFlMMQJsQI/view?usp=sharing