„Sag ma‘, wer ist dein Lieblingsschauspieler? Mann oder Frau, egal.“
Reale Sprachpraxis, die Missverständnisse vermeidet – ohne zu Gendern
Eine Studie, die gern zitiert wird und als Beleg dafür dienen soll, dass Gendern Frauen „sichtbarer“ macht und sie dadurch erst eine „gerechte“ Bewertung ihrer Leistungen erfahren, fand bereits vor 30 Jahren statt. Hier war die bereits erwähnte Sabine Sczesny, Sozialpsychologin und dezidierte Befürworterin der Gendersprache, selbst beteiligt. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom September 2020 erklärte sie zu dieser Studie: „Eine Gruppe von Teilnehmenden bekam die Aufgabe: ‚Nennen Sie Ihren Lieblingshelden‘, bei der zweiten Gruppe hieß es: ‚Nennen Sie Ihre Lieblingsheldin oder Ihren Lieblingshelden.‘ Die Ergebnisse waren eindeutig. Die eine Gruppe dachte an Superman und andere männliche Helden, die andere häufiger auch an Frauen, beispielsweise an die eigene Mutter oder eine tolle Nachbarin. Die Art der Fragestellung hat also einen Einfluss darauf, ob herausragende Leistungen von Frauen sichtbar werden oder nicht.“
Am Beispiel dieser Studie lässt sich gut verdeutlichen, was an den Gendersprach-Studien insbesondere kritisiert wird – nämlich, wie die Studienmacher ihre Fragen stellen und wie sie die Antworten interpretieren. Das Problem in diesem Fall: Den Probanden werden zwei Fragen gestellt, bei denen in der Sache angeblich genau das Gleiche abgefragt wird. Das stimmt aber nicht. Durch die Änderung der Fragestellung ändert sich auch das, wonach gefragt wird. Das meine ich so:
In der Studie wurde eine Gruppe gebeten: „Nennen Sie Ihren Lieblingshelden“. Diese Aufgabe verstehen viele Menschen natürlich eher als Frage nach einem allgemeinen, fiktionalen Helden. Diese Art von „Helden“ waren bisher ganz überwiegend männliche Figuren, wie Superman, Batman oder James Bond.
Für manche wird „der Held“ vielleicht auch Nelson Mandela oder Mahatma Ghandi sein, häufiger ein Mann, seltener eine Frau wie Mutter Teresa. Denn die „sichtbare“ Geschichte der Menschheit war im Bösen wie im Guten von Männern dominiert. Frauen waren seltener in einer herausgehobenen Position. Das ändert sich nun – zum Glück.
Die andere Gruppe von Studienteilnehmern wurde gebeten, „Ihre Lieblingsheldin oder Ihren Lieblingshelden“ zu nennen. Damit ändert sich die Fragestellung. Jetzt wird ausdrücklich auch nach Frauen gefragt. Diese waren bisher keine Superhelden in Filmen und deutlich seltener berühmte Helden der Geschichte. Natürlich füllt unser Gehirn die Lücke, und viele verstehen die Frage nun in einem erweiterten Sinn. Viele beziehen nun auch den Alltag ein, und plötzlich kommen als „Held“ auch Papa und Mama in Frage. Entscheidend ist also: Welche Antworten sind in dem jeweiligen Kontext überhaupt zu erwarten? Dies ist eine der großen blinden Flecken in den Gendersprachstudien. Es werden Laborsituationen geschaffen, in denen ein „passendes“ Ergebnis wahrscheinlich ist. Das mag ohne Absicht geschehen. Aber das eigene parteiische Erkenntnisinteresse wird beim Studiendesign natürlich immer eine zumindest unbewusste Rolle spielen. Bei geänderter Laborsituation kommen auch andere Ergebnisse heraus. (Mehr dazu auch hier.)
Schon bei der Frage „Wer war Dein Lieblingslehrer in der Schule“ wären Lehrerinnen wohl ähnlich stark in den gedanklichen Fokus gerückt wie ihre männlichen Kollegen. Besonders deutlich dürfte der Effekt auftreten, wenn gefragt würde: „Wer ist der größte Held in Deiner Familie?“ Es würde mich überraschen, wenn die Antworten wesentlich anders ausfielen als bei der Frage: „Wer ist die größte Heldin oder der größte Held in Deiner Familie?“
Es mag durchaus sein, dass auch bei diesen Fragen Frauen etwas häufiger in den Antworten vorkämen, sobald sie extra benannt werden. Aber wäre das dann die „richtigere“ Antwort? Ich habe Zweifel. Denn in einem Sprachsystem mit generischem Maskulinum wird eben genau dieses als neutral verstanden. Durch die Extra-Nennung der weiblichen Form wird der Scheinwerfer gesondert auf die Frauen gerichtet. Das ist so, als würde man in einer Studie der einen Gruppe die Aufgabe geben: „Nennen Sie eine Stadt!“ und der zweiten Gruppe die Aufgabe stellen: „Nennen Sie eine Stadt oder eine Stadt in Nordrhein-Westfalen!“ Ich vermute, in der zweiten Gruppe würden Köln, Düsseldorf, Dortmund, Bielefeld oder Münster plötzlich häufiger erscheinen (Scheinwerfer-Effekt).
Aber überhaupt: Auch jetzt schon „gendern“ wir bei solcherlei Fragen, wenn es um bestimmte Personen geht. In einer gemütlichen Kneipenrunde würden wir umgangssprachlich zum Beispiel fragen: „Wer ist Dein Lieblingsschauspieler? Mann oder Frau, egal.“
Und noch etwas: Wenn das generische Maskulinum zur „Unsichtbarkeit“ von Frauen führt, dann dürften die Probanden etwa von ihrem Liebling unter den Schauspielerinnen und Schauspielern generell eine falsche Vorstellung haben, egal, wie man fragt. Sie denken, es wäre Brad Pitt und nicht Angelina Jolie. Der Irrglaube kann nicht ad hoc durch eine einzige Frage aufgehoben werden. Dies zeigt: In der Studie wurden schlicht zwei verschiedene Dinge abgefragt.
Hinzu kommt: Die Anhänger der Gendersprache wollen, dass wir aufgrund solcher Studien sämtliche „Kundenparkplätze“, „Besucher-WCs“ und „Teilnehmerrunden“ umbenennen. Es wird dabei unterstellt, dass wir immer Menschen mit bestimmtem Geschlecht vor Augen haben, wenn etwa Kundenparkplatz gesagt wird. Das ist aber nicht so. Wenn jemand sagt „Ich gehe zum Bäcker“, dann sieht derjenige ein Gebäude vor sich, vielleicht die sympathische Bäckereifachverkäuferin, aber nicht den „Herrn Bäcker“ am Ofen. Und wenn jemand dann fragt: „Welchen Bäcker meinst Du?“, dann wird die Antwort eher lauten: „Den Bäcker an der Ecke, in die Stadt zu fahren ist mir jetzt zu weit.“ Keiner wird dagegen antworten: „Ich meine Heinrich Meyer, den Bäckermeister an der Ecke.“
Bei generisch maskulinen Personenbezeichnungen geht es in aller Regel um funktionale Zusammenhänge und kein Mensch im deutschsprachigen Raum hatte hierbei bisher auch nur das geringste Verständnisproblem. Oder gibt es Frauen, denen schon mal ein furchtbares Malheur passiert ist, weil sie verzweifelt die „Kundinnentoilette“ gesucht und immer nur eine „Kundentoilette“ gefunden haben. Und genau das gleiche gilt natürlich, wenn wir als Journalisten über „Beitragszahler“ berichten oder uns Gedanken um unsere „Zuschauer“ machen. Dass wir uns dagegen beim Eurovision Song Contest fragen, „welche Sängerin oder welcher Sänger gewinnt“, passt natürlich auch in eine Welt mit generischem Maskulinum bestens hinein. Genau dafür gibt es ja die gesonderte weibliche Endung – für den Fall, dass wir an konkrete Menschen denken. Und so nimmt auch auf ganz natürliche Weise die Beidnennung zu, da Frauen in der öffentlichen Sphäre eine wichtigere Rolle spielen als früher. Eine künstliche Sprachentwicklung durchs Gendern braucht es da nicht.