Das Männlein vom Amt und die Lösung des „Genderproblems“

„Herr Müller, schön, dass Sie(!) da sind!“ / „Die(!) Männer und ihre(!) Rechte.“

Das „ungerechte“ generische Femininum

Wenn es tatsächlich nicht mehr zumutbar sein sollte, das generische Maskulinum zu verwenden, dann liegt eine ganz einfache Lösung auf der Hand: Wir schaffen – analog zu anderen Sprachen wie Englisch und Türkisch – die weibliche Movierung (Endung) ab. Wir haben ja auch das „Fräulein“ abgeschafft und nicht das „Männlein“ (als Bezeichnung für unverheiratete Männer) eingeführt.

„President“ ist „President“ – ein Wort für alle ist die Lösung!

Wir sollten also in Zukunft alle nur noch „Bürger“ sein. Eine „Bürgerin“ gäbe es dann nicht mehr. Durch Gewohnheit werden wir „Bürger“ dann bald auch nicht mehr für männlich halten – so wie Englischsprecher etwa einen „citizen“, einen „president“ oder einen „senator“ auch nicht per se für männlich halten – und so wie wir ja immer wussten, sogar im Schlaf, dass zu den „Wählern“ bei einer Bundestagswahl auch Frauen gehören und ein Kundenparkplatz keineswegs ein Parkplatz ist, der nur für Männer vorgesehen ist.

Und was die Artikel und Pronomen angeht, ist die deutsche Sprache sowieso schon „geschlechtergerechter“ als viele denken:

Denn im generischen Singular sind wir zwar alle „männlich“: „Der Bürger und seine Rechte“.
Im generischen Plural sind wir alle aber „weiblich“: „Die(!) Bürger und ihre(!) Rechte“.
(Nur im Dativ gibt es eine eigene Form, die weder im männlichen noch weiblichen Singular eine Parallele hat.)

Das „generische Femininum“

Die Frauen haben das Privileg, dass ihnen im Singular und Plural die gleichen Artikel und Pronomen zugeordnet werden: „Die Frau und ihre Rechte“ – „Die Frauen und ihre Rechte“.
Wir Männer müssen bereits hinnehmen, dass im Plural unser männlicher Artikel und unsere Pronomen durch die weiblichen Formen ersetzt werden: „Der Mann und seine Rechte“ – „Die(!) Männer und ihre(!) Rechte“.
Obendrein müssen wir Männer bereits hinnehmen, dass wir in der Höflichkeitsform zu „Frauen“ werden: „Herr Müller, schön, dass Sie(!) da sind und Ihre(!) Gedanken beisteuern.“

Ich bin überzeugt, dass Sprache im Kontext funktioniert und „Gerechtigkeit“ nicht durch Grammatik hergestellt werden kann. Weder führt das „generisch“ Feminine in der Sprache („Die(!) Bürger und ihre(!) Rechte“) zu echten Nachteilen für Männer noch führt das generisch Maskuline („Jeder Bürger hat die gleichen Rechte“) zu Nachteilen für Frauen. Aber wenn es denn partout mehr Gleichheit in der Sprache geben soll, sollte es durch Vereinfachung erreicht werden und nicht durch Verkomplizierung – wie dies ganz erheblich durchs Gendern passieren würde.

Kunstfehler Gendern

Kunstfehler Gendern

Der strukturelle Irrtum bei der Sprachoperation

Gendern – ein Versuch den Kreis quadratisch zu machen.

Die Gendersprache stellt – meiner Ansicht nach – den seltsamen Versuch dar, das generische Maskulinum gleichzeitig zu beseitigen und zu erhalten. Ihr staunt jetzt vielleicht. Mit dem Gendern wird das generische Maskulinum auch erhalten? Wie das? Schauen wir uns dafür an, was den Kern der generisch maskulinen Ausdrucksweise im Deutschen ausmacht:

Die maskuline Form bildet immer die Grundform: der Bäcker, der Sportler, der Drucker. Aus dieser Grundform wird alles weitere abgeleitet. Zum Beispiel:

  • Der Gegenstand als Ersatz der Person: Drucker (als Apparat)
  • Der Betrieb: Drucker-ei
  • Das Berufsfeld: Drucker-handwerk
  • Das Zubehör: Drucker-schürze
  • Die Stellung: Drucker-geselle
  • Das Ereignis: Drucker-eien-sterben
  • Und eben die Frau: Drucker-in

Wenn man so will, liegt hier der diskriminierende Kern des generischen Maskulinums, fest verbaut im Gebälk der deutschen Sprache. Die Frau befindet sich sprachlich gleichrangig auf der Ebene der Druckerschürze. Sie ist ein „Anhängsel“ an den Drucker. In der Logik der Gendersprache soll die Frau dem Mann nun gleichgestellt werden, indem die Grundform erweitert wird zu Drucker*in bzw. Drucker*innen. Dann muss es heißen: Drücker*innenschürze. Und der Betrieb muss Drucker*inei heißen (oder in der partizipialen Ausweichkonstruktion: Druckendenei). Und wenn unter Ingenieuren in Zukunft nur noch männliche Ingenieure verstanden werden sollen, dann muss es unbedingt Ingenieur*insleistung heißen. Sonst brächten die Frauen in diesem Beruf ja nichts zustande.

Das strukturell Dysfunktionale dabei: Durch das Gendern sollen Substantive und Pronomen zwei grammatische Zustände gleichzeitig besitzen können. „Jede*r Bäcker*in“ – der grammatische Zustand dieses Begriffs ist gleichzeitig feminin und maskulin. Wann hat so etwas je in einer Sprache gegeben? Das ist so, als sollten die Zustände der Verben „gehen“ (Präsens von gehen) und „gingen“ (Präteritum von gehen) gleichzeitig gesagt werden können, etwa als geh*ingen. Das Wort soll dann gleichzeitig das Gehen in der Gegenwart wie in der Vergangenheit ausdrücken. Das kann nicht sinnvoll funktionieren! So etwas wird immer stören im Sprachgebrauch.

Die Gendersprache ist vergleichbar mit dem Versuch eines Arztes, den rostigen Nagel im Bein des Patienten lassen zu wollen und ihn stattdessen mit allerlei Antibiotika, Schmerzmitteln und gutem Zureden am Leben halten zu wollen. Wenn das generische Maskulinum wirklich „ungerecht“ sein sollte, dann kann es nur eine vernünftige und praktikable Lösung geben: die Abschaffung der weiblichen Endung. Im Englischen, Türkischen oder Finnischen gibt es keine weibliche Endung oder es fehlen sogar grammatische Geschlechter. Im Englischen etwa heißt es „the baker“ für alle Geschlechter. Was liegt also näher als es diesen Sprachen gleichzutun und die weibliche Endung einfach zu streichen. Man kann einwenden: Im Deutschen gibt es aber noch den Artikel. Es heißt ja der Bäcker“. Soll es dann vielleicht „die Bäcker“ statt „die Bäckerin“ heißen? In der Tat wäre das eine Möglichkeit, die Umstellung aber sicher sehr gewöhnungsbedürftig. Genauso wie die Einführung eines einheitlichen Artikels: „das Frau“ und „das Mann“. Ein anderer Weg wäre es, im Singular tatsächlich nur noch die maskuline Form zu verwenden. Denn zum Glück ist das Deutsche ja gar nicht so sexistisch wie viele glauben. Wie wir gesehen haben, gibt es „generische“ Feminina. Ohne weibliche Endung wäre Deutsch also ausgesprochen geschlechtergerecht. Die Männer „kriegen“ den Singular und die Frauen den Plural und die Höflichkeitsform. Wäre das nicht ein „fairer“ Deal? Wenn es nur noch „der Bäcker“ heißt, dann wird dies gedanklich genauso geschlechtsneutral verstanden wie „the baker“ und wie heute schon „die Bäcker“ im Plural. Und genauso neutral wie „die Person“. Und wer aus alter Gewohnheit dann doch nochmal „die Bäckerin“ sagt, sorgt für zusätzliche Sichtbarkeit von Frauen.

Oder wir lassen die Sprache mit ihren Regeln wie gehabt, inklusive generischem Maskulinum. „Natürliches Gendern“ wird auch dann zunehmen – ganz von allein, ohne „geschlechtergerechte“ Sprache. Denn Frauen nehmen in der öffentlichen Sphäre immer mehr Raum ein und werden deshalb immer häufiger extra benannt – ganz gemäß den bestehenden Regeln unseres Sprachgebrauchs. Diese besagen nämlich:

  • Je eher konkrete Menschen gemeint sind, je persönlicher der Kontext ist, umso eher werden beide Geschlechter benannt. Auf Betriebsfeiern danken Chefinnen oder Chefs schon lange ihren „tollen Kolleginnen und Kollegen“.
  • Die grammatisch maskuline Form bleibt sinnvoll, wenn Menschen allgemein als Träger bestimmter Eigenschaften oder Funktionen gemeint sind. Durch den „Lieferanteneingang“ gehen „Dienstleister“ aller Geschlechter. Und wenn wir über „Wähler“, „Radfahrer“ oder „Hoffnungsträger“ berichten, dann meinen wir natürlich gleichwertig Menschen jedweden Geschlechts.

Unsere Sprache braucht eindeutige Platzhalter-Substantive und Pronomen. Jede funktionierende Sprache hat und braucht eindeutige generische Grundformen.

Die Sprache braucht generische Formen – der Tag ist der hellichte Tag und manchmal auch Tag und Nacht

Jede Sprache braucht ein Wort für alle und jeden. Auch wenn es nicht um Personen geht, werden generische Formen gebraucht und angewendet, ohne dass es zu Problemen führt. Der Kontext erhellt, wie es gemeint ist. So ist der „Tag“ einerseits der Teil des Tages, an dem es hell ist – im Gegensatz zur Nacht.  Aber zum Beispiel der 24. Juli ist auch „ein Tag“, und zwar inklusive der Nachtstunden dieses Tages. Niemals ist das Bedürfnis entstanden, dies zu ändern, weil es „missverständlich“ sei.

Das „generische Femininum“ und der Mythos von der sexistischen deutschen Sprache

Die Gendersprache verdankt ihre Existenz der Grundannahme, das Deutsche sei eine sexistische Sprache. Das ist sie aber nicht, zumindest nicht in dem Ausmaß, das unterstellt wird. Wie wir gesehen haben, muss schon stark angezweifelt werden, dass das generische Maskulinum „sexistisch“ wirken könnte. Hinzu kommt: Es gibt im Deutschen auch „generische Feminina“. Sie fallen bloß nicht auf – weil sich keine Aktivisten daran reiben. So werden Männer im Plural, in der Höflichkeitsform und in der „pluralen“ Vertraulichkeitsform überwiegend wie die Frauen mit weiblichen Artikeln und Pronomen angesprochen. Konkret:

Im Singular sind Männer noch gleichgestellt:

„Die Frau hat ihren eigenen Kopf.“ (weiblicher Artikel + weibliches Pronomen)

„Der Mann hat seinen eigenen Kopf.“ (männlicher Artikel + männliches Pronomen)

Aber Achtung! Jetzt wird es „unfair“:

„Die Frauen haben ihren eigenen Kopf.“ (weiblicher Artikel + weibliches Pronomen)

„Die Männer haben ihren eigenen Kopf.“ (weiblicher Artikel + weibliches Pronomen)

„Unfair“ geht es weiter mit den pronominalen Anredeformen:

„Hören Sie, Frau Yilmaz, Ihr Beitrag ist sehr schön“ (weibliche Pronomen)

„Hören Sie, Herr Meyer, Ihr Beitrag ist sehr schön“ (weibliche Pronomen)

„Ihr Frauen habt Eure Arbeit gut gemacht.“ (weibliche + neutrale Pronomen)

Ihr Männer habt Eure Arbeit gut gemacht.“ (weibliche + neutrale Pronomen)

Und warum soll weiterhin möglich sein: „alle, die … ?“ Aber nicht mehr: „jeder, der … ?“

Die deutsche Sprache ist bereits „gerechter“ als die meisten denken. Mal sind wir alle „Männer“ (generisches Maskulinum) und mal sind wir alle „Frauen“ (Plural + Höflichkeitsform). Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hat gegen diese Argumentation vorgebracht, dass das „generische Femininum“ eigentlich keines ist, weil es im Dativ nicht gilt. In allen anderen Fällen sind Plural und Höflichkeitsform identisch mit der weiblichen Form. Das hält er aber für bedeutungslos, weil – so verstehe ich ihn sinngemäß – der Kontext klar macht, dass hier keine wirklich geschlechtliche Aussage gemacht wird. Bei dem Satz „Herr Müller, Sie haben ihre Tasche vergessen!“ denkt Herr Müller schließlich nicht an den Dativ. Er weiß einfach ohne nachzudenken, dass „sie“ und „ihre“ in diesem Zusammenhang geschlechtsneutral, also generisch zu nehmen ist. Eben das kann auch für das generische Maskulinum vorgebracht werden. Kontext ist alles! Das generische Maskulinum ist „durchlöchert“ an anderer Stelle als das generische Femininum, nämlich da, wo eine konkrete Frau gemeint ist. Ein konkreter Mann „muss“ sich in den meisten Fällen in der Höflichkeitsform mit weiblichem Artikel und femininen Pronomen ansprechen lassen. Eine Frau wird nur dann generisch maskulin angesprochen, wenn es ganz allgemein um Menschen mit bestimmter Eigenschaft oder Funktion geht. Kurzum: Entscheidend ist immer das Verständnis im Kontext. Und deshalb zweifeln Männer nicht aus grammatischen Gründen an ihrer Männlichkeit, wenn sie gesiezt werden oder plural gemeint sind – so wie Frauen niemals ein schlechtes Gefühl haben, wenn sie statt einer Kundinnentoilette nur eine Kundentoilette vorfinden.

Lena ist eine Autorität – und Ben ist ein Autoritäter?

Konsequenterweise müsste sich das Gendern auch nicht nur auf generisch männliche Wörter beziehen wie etwa „Wissenschaftler“ oder (gemäß neuem Online-Duden) Leutnant (Leutnantin). Es müssten auch generisch feminine Begriffe wie „Koryphäe“ oder „Autorität“ gegendert werden. Beispiel: „Ben ist als Wissenschaftler eine Autorität.“ Für Lena wird der Satz schon heute „geschlechtergerecht“ angepasst: „Lena ist als Wissenschaftlerin eine Autorität.“ Für Ben bleibt es aber bei „die“ Autorität, obwohl auch die Wortendung  „-ät“ immer auf ein „weibliches“ Wort (Majestät, Kapazität) verweist. Konsequent gegendert müsste es etwa heißen: „Ben ist als Wissenschaftler ein Autoritäter.“ Natürlich wäre solch ein Anpassung unnötig und unsinnig. Ben bleibt ein Mann auch als „die Autorität“. Er versteht das und alle anderen tun das auch.

Framing

„wertschätzend“

„gerecht“

„fair“

„höflich“

Das Framing rund ums Gendern

Als „moralisches“ Argument für die Gendersprache wird häufig angeführt, schon die Höflichkeit gebiete es, die Frauen stets ausdrücklich mitzubenennen. Aber mangelte es der „alten“ Welt mit ausgeprägtem generischem Maskulinum denn an Höflichkeit gegenüber den Frauen? Ich halte das für hergeholt. Die längst vergangenen Zeiten, in denen Frauen kein Bankkonto ohne die Zustimmung ihres Mannes eröffnen konnten, waren in Sachen Höflichkeit und Ritterlichkeit sogar äußerst vorbildlich. Frauen wurde in den Mantel geholfen, die Tür aufgehalten und Platz gemacht in der Straßenbahn, letzteres vielleicht verbunden mit einer kurzen angedeuteten Verbeugung. Beim Überqueren der Straße – man sieht es in alten Filmen manchmal – umschirmte der Herr mit einem Arm die Dame: Vielleicht stolpert das arme Ding ja oder sieht das heranrauschende Auto zu spät. Und damals hat es manche kultivierte Frau sicher als unhöflich empfunden, wenn sie im Beisein eines Herrn mit gesunden Armen höchsteigenhändig ihren Mantel von der Garderobenstange greifen musste. Heute ist den Frauen derlei Höflichkeit schnurz. Ihnen ist das Wahlrecht wichtiger. So ändern sich die Zeiten.

Was man als höflich empfindet und was nicht, ist erlernt, „sozial konstruiert“. Zur Legitimation der Gendersprache wird nun eine neue Unhöflichkeit konstruiert. Aber kein Mensch und auch keine „Menschin“ hat das Weglassen der Doppelnennung in funktionalen Zusammenhängen früher auch nur ansatzweise als unhöflich empfunden. In Briefen und bei Festanlässen war die Extra-Nennung der Damen schon immer Usus. Hier genießen die Frauen sogar das Privileg der Erstnennung: „Sehr geehrte Damen und Herren!“

Und wenn es ein Problem mit Höflichkeit gäbe, dann hätte es den Männern in der Vergangenheit immer einen kleinen Stich ins Herz verpassen müssen, wenn die Frauen andauernd zuerst genannt werden. Männer könnten sich sogar durch das generische Maskulinum gedemütigt fühlen. Denn für Frauen gibt es ein eigenes Wort: „Die Duschen für die Sportlerinnen befinden sich rechts.“ Wenn ausdrücklich nur Männer gemeint sind, muss dagegen ein Adjektiv zur Hilfe genommen werden: „Die Duschen für die männlichen Sportler befinden sich links.“ Kurzum: Was als höflich oder unhöflich empfunden wird, ist eine Frage der gesellschaftlichen Konvention.

Woher kommt die Wut aufs Gendern?

Ich höre beim Argument „Höflichkeit“ die Nachtigall trapsen. Ihr Name ist „emotionale Erpressung“. Es mag sein, dass dies oft keine bewusste Absicht ist. Aber mit der Setzung, die Gendersprache sei „gerecht“, „fair“, „wertschätzend“ und ein Gebot der „Höflichkeit“, werden Pflöcke in den Diskussionsboden gerammt, die jeden Widerspruch als „unanständig“ erscheinen lassen. Kein Wunder, das manchem Gegner die emotionale Hutschnur platzt. Denn moralische Abwertung taugt als Grundlage für die oft geforderte Gelassenheit in der Debatte nicht.

Kein Projekt, das aus den Büros und Fabriken der „normalen“ Leute kommt

Die Gendersprache ist kein Projekt, das aus den Büros und Fabriken der „normalen“ Leute kommt. Sie ist kein Projekt, das von der Straße kommt. Sie ist kein Projekt, das aus dem Alltag kommt. Sie ist ein „akademisches“ Projekt. Die Gendersprache ist die Lösung eines Problems, das sie selbst erst erschafft. Sie „erzeugt“ erst das Bewusstsein für ein Problem, das nun zu lösen sei. Ich bestreite nachdrücklich, dass etwa wir als Rundfunkschaffende bisher in erster Linie Programm für Männer gemacht haben und die Frauen bloß mit-gemeint waren. Nein, sie waren immer genauso-gemeint wie die Männer und haben sich auch immer genauso angesprochen gefühlt. Das gilt, wenn wir uns an „unsere Zuschauer in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein“ wenden. Und das gilt, wenn wir etwa von den „Politikern in Berlin“ reden. Frau Angela Merkel war dann nicht nur „mitgemeint“. Und die „Wähler von CDU, Grünen, SPD, FDP“? Alles nur Männer? „Die Demonstranten vor dem Reichstag“? Denken wir bei den Terroristen der „Rote Armee Fraktion“ nur an Andreas Baader und nicht auch an Ulrike Meinhof? Wen halten wir für die „Besucher“ von Cafés? Wer sind die „Teilnehmer“ einer Kreuzfahrt? Alles nur Männer? Sind die „Bewohner von Seniorenheimen“ für uns immer nur Männer, die in Häusern leben, die sowieso nur für Senioren und nicht auch für Seniorinnen gebaut wurden? Und wenn jemand „dringend zum Arzt“ muss, denken wir dann: „Warum will er denn partout nicht zu einer Ärztin gehen?“

Niemand denkt so. Niemand hat so gedacht. Nicht im Traum.

Der Putzteufel ist typisch männlich! – Die Korruption ist typisch weiblich! Wirklich?

Sprache funktioniert im Kontext. Deutlich wird das auch am grammatischen Geschlecht von Substantiven. Hier liegt das Weibliche vorn: Laut Duden verlangen 46 % der Substantive den weiblichen Artikel „die“. Durch den männlichen Artikel „der“ werden nur 34% der Hauptwörter begleitet. 12% benötigen das neutrale „das“. Wenn grammatische Geschlechter aus sich heraus zu Assoziationen verleiten, dann müssten wir „die Person auf der Fahrbahn“ gedanklich eher für eine Frau halten, weil „Personen“ grammatisch weiblich sind. Aber funktioniert sprachliche Wahrnehmung so? Sind „die Gewalt“, „die Korruption“ und „die Diktatur“ etwas, das uns eher an Frauen denken lässt? Und erzeugen „der Frieden“ und „der Kompromiss“ im Kopf das Bild eines Mannes? Es müsste doch wenigstens ein bisschen so sein, wenn Sprache so sehr das Bewusstsein prägen sollte. Ist „die Koryphäe“ eher eine Frau und „der Putzteufel“ eher ein Mann? Wir haben es hier mit dem Genus nicht dem Sexus zu tun: „der Zuschauer“, „die Person“ und „das Opfer“ können Mann, Frau oder ein diverser Mensch sein. Auch unser sprachliches „Unterbewusstsein“ sieht das so. Der übliche Sprachgebrauch und der konkrete Kontext bestimmen das Verständnis. Und so ist es natürlich auch beim generischen Maskulinum.

Soziale Spaltung

Gendern

grenzt

aus

Proletarier*innen aller Länder vereinigt Euch!

Gendernder Marx

Gendersprache wird – auch wenn das nicht beabsichtigt ist – auf lange Zeit ein soziales Unterscheidungsmerkmal sein. Akademisch Gebildete werden das Gendern – mit all seinen Tücken und Sprechfallen – vielleicht einigermaßen beherrschen.

Weniger Gebildete werden das nicht können. Erst recht ist Gendersprache keine „leichte Sprache“ für geistig Behinderte oder von Demenz betroffene Senioren. Und sie erschwert die Integration von Zuwanderern.

Die Gesellschaft zerzällt in „Sprechzonen“

Im Moment erleben wir, wie der Sprachgebrauch in der Gesellschaft zunehmend auseinander­fällt. Es gibt jetzt drei Zonen des Sprechens. Im Privaten reden die meisten Menschen wie bisher. Noch immer holt „einer“ den Kaffee. Auf Webseiten, in den sozialen Medien und in offizieller schriftlicher Kommunikation wird von vielen schon gegendert. Hier und da wimmelt es bereits von „Follower*innen“, Ärzt*innen“ oder auch „Berufsverbrecher*innen“. Im öffentlichen Reden – etwa bei uns in Hörfunk und Fernsehen – suchen viele nach sprechbaren Kompromissen. Manch einer gendert, manch einer nicht, manche tun es inkonsequent. Wer oft genug die „Beitragszahlerinnen und Beitragszahler“ genannt hat, leistet sich dann vielleicht mal einen einfachen „Steuerzahler“.

Die Gendersprache ist immer dann erträglich, wenn sie inkonsequent angewendet wird. Aber ist das sinnvoll? Werden die Aktivist*innen uns das durchgehen lassen? Es ist ja in sich schlüssig, konsequentes Gendern zu fordern. Denn wenn „Beitragszahler“ nur noch Männer sein sollen, kann man nicht zwischendurch behaupten, jetzt gehe es bei den „Steuerzahlern“ um Menschen aller Geschlechter. Es wäre dann – im Gegensatz zu früher – geradezu ein bewusstes Ignorieren der Frauen und Nicht-Binären. Und es würde systematisch für Missverständnisse sorgen. Wer weiß schon, ob jemand gerade „gerecht“ oder „ungerecht“ redet?

Regelhafte Regellosikeit mit „Streufemina“ und „Streumaskulina“

Übrigens: Es droht sogar Verwirrung mit System – aufgrund der oft vorgeschlagenen „Streufeminina“ und „Streumaskulina“. So soll man laut Gender-Leitfäden durchaus formulieren: „Viele Ärztinnen in Deutschland klagen über zu lange Arbeitszeiten. Und den Pflegern geht es nicht besser.“ Damit sollen dann alle Ärzte und Pfleger jeden Geschlechts gemeint sein. „Ärztinnen“ soll also wie „Ärzte“ mal generisch und mal geschlechtsspezifisch verstanden werden. Sorry, aber wer soll da am Ende noch durchblicken? Wer jemals mit geistig Behinderten oder dementen Senioren zu tun hatte, wird unmittelbar spüren: Regelhafte Regellosigkeit ist diskriminierend. Und in der Alltagssprache sind solche Verteilungen nach politischen Kriterien absolut unpraktikabel. Wer will permanent darauf achten, ob er auch zu 50% generische Feminina und zu 50% generische Maskulina verwendet?

Der Glaube vieler Anhänger des Genderns an die Macht der Sprache hat etwas Unheimliches. Denn wie Sprache genau wirkt, ist wissenschaftlic keineswegs geklärt. Der Glaube an die Macht der Sprache beruht darum zum großen Teil auf Unterstellungen: „Wir nehmen Dir die Worte für das Böse und dann wirst Du ein besserer Mensch sein!“ Das Problem: Das Böse sucht sich seine Worte. So hielten es manche für geboten, etwa das Wort „behindert“ zu ersetzen durch Begriffe wie „anders begabt“. Aber wie verstehen wir einen solchen Begriff heute, wenn es etwa auf einer Party heißt? „Ja ja, der ist anders begabt!“ Natürlich in dem Sinne: „Den nehme ich nicht für voll!“ (Und niemand behaupte, solcherlei „Sprachspiele“ niemals zu nutzen.)

Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein.

Auch wieder von Karl Marx

Die neue übertriebene Sittsamkeit in der Sprache lenkt den Fokus weg von dem, was eigentlich zählt: den unterschiedlichen Interessen in einer Gesellschaft. Altlinke würden sagen: den Produktionsverhältnissen. Das meine ich nicht als plumpe Kapitalismuskritik. Wir alle sollten uns öfter fragen. Welches Interesse habe ich? Denn das Sein bestimmt in aller erster Linie das Bewusstsein. Aus ihr resultiert die „Haltung“. Wir sollten uns fragen: Welchem sozialen Druck fühle ich mich ausgesetzt – und sei es schlicht, um gemocht und nicht verdächtigt zu werden. Was ist sozial erwünscht? Wo dient es meinem Interesse, mich anzupassen? Wer hat Macht über mich?

Auf dem Weg in die befangene Gesellschaft

Und wir sollten nicht vergessen: Auch die „Kultur des Verbots“ und der moralischen Vorschriften „wirkt“. Sie sorgt für ständige Befangenheit, fördert opportunistische Anpassung. Es reicht plötzlich nicht mehr, sich zum Guten zu bekennen und im direkten Umgang mit anderen danach zu handeln.

Wer sich „falsch“ ausdrückt, macht sich verdächtig: „Was will er in Wahrheit sagen? Welchem Geist hängt er in Wahrheit an?“ Demokratie, Gerechtigkeit, Fortschritt aber brauchen Unbefangenheit. Die Leute beim Wort zu nehmen, sollte seltener heißen, ihre Worte zu interpretieren. Es wäre besser, öfter einfach nachzufragen: „Wie genau meinst Du das?“ Und vielleicht sollten wir der Antwort dann auch öfter glauben. Wenn wir hinter die Kulissen schauen wollen, dann lasst uns nach den Interessen schauen. Und am besten beginnen wir damit stets bei uns selbst.