Falscher Sprachgebrauch

So spricht kein Mensch

Der falsche Sprachgebrauch in Studien zum Gendern

Eine weitere Studie, die gern als Beleg für die „Wirksamkeit“ der Gendersprache genannt wird, ist die „Satzergänzungsstudie“. Hier wird die deutsche Sprache schlicht nicht so angewendet, wie es im Alltag üblich ist. Die Probanden werden aufs Glatteis geführt. Im Endeffekt kommt bei der Studie sinngemäß heraus, dass Menschen sogar klassische „Frauenberufe“ wie etwa den des „Kosmetikers“ eher für einen Männerberuf halten, sobald das generische Maskulinum im Spiel ist. Dieses hat in dieser Logik die Macht, Frauen sogar vom Job der Kosmetikerin abzuhalten. Das ist natürlich Unsinn. In Wahrheit wird in der Studie nicht das Verständnis von Geschlechterrollen ergründet, sondern es werden Sprachverständnis, Sprachgefühl und Grammatik-Kompetenz getestet. Als Argument fürs Gendern kann diese Studie meiner Ansicht nach nicht gelten.

Das Problem der Studie: In ihr werden „Beobachtersätze“ falsch angewendet. Ausgangspunkte sind beschreibende Sätze eines fiktiven Beobachters einer Situation. Zum Beispiel: „Die Spione kamen aus dem Besprechungsraum.“ Der Sprecher sieht also eine Gruppe von Menschen. Wir erfahren nicht, ob es sich um eine gemischte Gruppe aus Frauen und Männern handelt oder ob es nur um Männer oder nur um Frauen geht. Dann wird der Fortgang der Situation beschrieben: „Offensichtlich war eine der Frauen verärgert.“ Die Probanden der Studie sollen nun entscheiden, ob dieser Fortsetzungssatz „passt“, also sinnvoll ist. Die meisten antworten natürlich: Nein. Denn tatsächlich würde kein deutscher Muttersprachler im normalen Leben so formulieren. Wir alle würden folgendes tun: Wenn die Gruppe der Spione nur aus Frauen besteht, würden wir schon im ersten Satz korrekterweise von „Spioninnen“ reden. Wenn es sich um eine gemischte Gruppe handelt, würden wir den zweiten Satz zum Beispiel so formulieren: „Offensichtlich war eine der Frauen unter ihnen verärgert.“ Oder: „Offensichtlich war einer der weiblichen Spione verärgert.“ Oder man würde in der gesprochenen Sprache im zweiten Satz eine ganz besondere Betonung auf das Wort „Spioninnen“ legen: „Offensichtlich war eine der Spioninnen verärgert.“ Oder wir hätten – wissend, dass wir gleich eine konkrete Frau benennen wollen – im ersten Satz schon von „Spionen und Spioninnen“ geredet. Man hätte quasi „gegendert“. Denn in der Welt des generischen Maskulinums ist die Doppelnennung natürlich üblich und angezeigt, wenn sehr konkret über Menschen gesprochen wird. Das generische Maskulinum, das nun komplett ausradiert werden soll, kommt zum Einsatz, wenn „anonym“ von Menschengruppen ganz allgemein gesprochen wird, also etwa in dem Satz: „Ein Leben als Spion ist gefährlich.“ Dieser Satz wird in einem konkreten Text- oder Gesprächszusammenhang in Bezug auf Günter Guillaume genauso selbstverständlich verstanden wie in Bezug auf Mata Hari.

Wie wenig Einfluss das generische Maskulinum in Wahrheit hat, zeigt interessanterweise eine Studie, die eine Ausgangsbasis der Studie bildet, die Nübling und Lobin zitieren. Hier wurden Menschen um Schätzungen gebeten, zu welchem Anteil bestimmte Rollen von Frauen und Männern eingenommen werden. Dafür wurde für 126 Tätigkeiten mal ausschließlich die generische Bezeichnung („Zuschauer“) genutzt, und mal wurden Doppelformen verwendet („Zuschauer und Zuschauerin“). Ergebnis: Der Unterschied in den Schätzungen war gering. Interessant ist vor allem der Blick auf einzelne Rollen wie etwa die des Zuschauers. Hier schätzten die Probanden immer, dass die Rolle fast genau zu 50% von Frauen und Männern eingenommen wird, egal ob „gegendert“ wurde oder nicht. Erstaunlicherweise ist der Frauenanteil bei der Verwendung des generischen Maskulinums sogar minimal höher als bei der Beidnennung der Geschlechter. Das zeigt, dass hier statistische Zufälle eine größere Bedeutung haben als die Variation der Bezeichnungen. Und das passiert bei einer Studie, deren Autoren sich erkennbar eher einen „Effekt“ wünschen als ihn zu bestreiten. (Anmerkung für Nachforschende: Die Studie enthält an einer Stelle einen Übertragungsfehler. Hier wird für männliche „Zuschauer“ der Anteil „40,66“ statt der korrekten „50,66“ genannt.)

Es gibt weitere Studien, die zeigen, dass Gendersprache nicht wirkt. So etwa eine Studie aus Berlin. Hier wurden Probanden gefragt, Menschen welchen Geschlechts sie vor Augen haben bei Sätzen wie „Die Besucher aus Taiwan waren vor allem an der Berliner Architektur interessiert“. Ergebnis: Die Probanden dachten gleichermaßen an Frauen wie Männer. Einen anderen Ansatz wählte eine Studie von 2008 aus dem niederländischen Leiden (auch im Niederländischen gibt es das generische Maskulinum). Hier wurde anhand von Eye-Tracking-Verfahren untersucht, wie lange Menschen brauchen, um bestimmte Sätze zu verstehen. Ergebnis: Die Probanden verstehen Sätze wie „Jeder putzte seine Zähne“ gleichermaßen für Männer wie für Frauen. Hier kam also das Gegenteil von dem heraus, was eine Pro-Gendern-Studie im selben Jahr anhand der „Spione und Spioninnen“ herausfand.

Fazit: Der genaue Blick auf vielzitierte Pro-Gendern-Studien zeigt keineswegs, dass die Gendersprache einen praktischen Nutzen für Frauen (und andere Nicht-Männer) hat. Es gibt auch kein Verständnisproblem beim generischen Maskulinum. Sonst wäre es längst modifiziert, denn eine Sprachgemeinschaft (selbst eine patriarchale) hat kein Interesse an systematischen Missverständnissen. Die Pro-Gendern-Studien provozieren oft Missverständnisse. Vielleicht ist das den Studienmachern mit ihrem „parteiischen“ Fokus gar nicht bewusst. Fatalerweise befeuern diese Studien aber Forderungen nach einer generellen Umwälzung der Sprache.

Ähnlich zu bewerten ist eine von Anhängern der Gendersprache in verschiedenen Varianten weitergereichte Geschichte. Es geht dabei um einen Vater und einen Sohn, die einen schweren Autounfall erleiden. Der Vater stirbt. Der Sohn wird schwerverletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Weiter geht die Geschichte dann zum Beispiel so:

Nur eine sofortige Operation kann ihn retten. Er wird in die chirurgische Ambulanz gebracht. Der Dienst habende Chirurg betritt den Raum, stammelt beim Anblick des Jungen erbleichend: „Ich kann nicht operieren – das ist mein Sohn!

Wie kann das sein? Der Vater ist tot und steht nun als Chirurg am OP-Tisch? Natürlich wird hier bloß das generische Maskulinum irreführend angewendet. Der Chirurg ist Chirurgin – und die schockierte Mutter des Kindes. Wer immer diese Geschichte erlebt und davon erzählt, würde selbstverständlich immer (!) von einer Chirurgin sprechen. Jedem wäre instinktiv klar, dass alles andere eine bewusste Irreführung wäre.

Es ist ein zentraler Denkfehler der Gendersprache: Zwei grundsätzlich verschiedene Sprechsituationen werden vermischt, in denen die Sprachgemeinschaft mit dem generischen Maskulinum schon immer grundsätzlich differenziert umgegangen ist und umgeht:

  1. Sobald wir als Sprecher konkrete Menschen vor Augen haben oder uns an sie wenden, „gendern“ wir. Wir machen das weibliche Geschlecht, ggf. auch das männliche Geschlecht „sichtbar“, sobald es für das Verständnis wichtig ist. (Man mag deshalb vielleicht zu Recht argumentieren, dass etwa bei Stellenanzeigen alle Geschlechter in der Regel benannt werden sollten.)
  2. Wir ignorieren das Geschlecht und verwenden die als neutral empfundene generische Grundform von Personenbezeichnungen, wenn wir keinen konkreten Menschen vor Augen haben und nur „anonym“ über bestimmte Menschen oder Menschengruppen sprechen. So etwa, wenn von neuen Belastungen für Steuerzahler, den Strafen für Umweltsünder oder den Bestimmungen für Kundentoiletten die Rede ist. Jeder Frau weiß und spürt stets und ständig wie jeder Mann, dass auch sie Steuern zahlen muss, für Umweltsünden bestraft und auf Kundentoiletten Erleichterung erfahren kann.

Und so legt auch niemand seinen Gesprächspartner mit der Frage rein: „Zwei Rentner sitzen auf einer Parkbank. Wie heißen sie?“ – wenn es sich dabei um einen Mann und eine Frau handelt. Jeder liefert in diesem Fall immer die wichtige Information zum Geschlecht der Personen mit. Jeder formuliert dann zum Beispiel „Ein Rentnerpärchen (nicht: Rentner*innenpärchen) sitzt auf einer Parkbank. Wie heißen sie?“ oder schlicht: „Eine Rentnerin und ein Rentner sitzen auf einer Parkbank. Wie heißen sie?“

3 thoughts on “Falscher Sprachgebrauch

  • 17. Dezember 2023 at 0:02
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    Per Zufall stieß ich auf diese Seite. Ich lese sehr gerne und sehr viel. Und bedauere, was derzeit spachlich passiert.
    Schade finde ich, dass immer häufiger „angewendet“ statt des eleganteren „angewandt“ benutzt wird. Das ist aber nebenbei. Pikiert bin ich von der Entwicklung, als Frau als „Nicht-anderer Mann“ bezeichnet, „gelesen“ zu werden.
    Die deutsche Sprache bietet so viele Möglichkeiten des Ausdrucks, wer, wann, wo explizit oder allgemein gemeint ist, so wie Sie auch schreiben, da geht niemand unter. Lernen muss man sie aber schon. Wie jede andere auch. Um diese schönen Differenzierungen zu verstehen. Was rede ich. Sie schreiben davon.

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  • 21. Juli 2023 at 9:20
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    Eigentlich ist die Lösung einfach: Man muss nur das generische Maskulinum verstehen wollen. Es ist sexusneutral und inklusiv.
    Die Genderia hat seit den Tagen der feministischen Linguistik diese Tatsache systematisch unterminiert, so dass jetzt einige den Unterschied zwischen Sexus und Genus nicht mehr wahrnehmen und alle grammtisch „maskulinen“ Formen für biologisch „männlich“ halten.
    Fazit: Die generischen Formen sind die Lösung, nicht das Problem. Als Feindbild eignen sie sich schon gar nicht.

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  • 21. Januar 2023 at 18:41
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    Hier muss ich widersprechen. Natürlich kann man sagen: „Zwei Rentner sitzen auf der Parkbank“. Genauso wie: Es waren 12 Studenten anwesend“. Oder: „Zwei Rentner und fünf Studenten spielen ein Spiel. Jeder hat einen Würfel in der Hand.“ Oder: „Wir sind 4 Kollegen im Büro. Jeder hat einen eigenen Rechner.“
    Wenn ich hier anfange zu gendern, weiß ich nicht, wo ich aufhören soll :-)! Das ist inkonsequent und inkonsequent ist schwierig, so steht es auch in einem Beitrag auf diesem Blog…

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