„Der Tod ist ein*e Meister*in aus Deutschland“
Gendersprache als Kulturschock
„Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigerinnen und/oder unsern Schuldigern und/oder den nicht-binären Personen, denen wir etwas schulden“
„Faires“ Gebet
„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“ Dieser einfache, erschütternde Satz über das Grauen der NS-Zeit wäre gegendert nicht mehr möglich. Hier ist unmittelbar zu spüren, wie unangemessen es ist, in jedem Satz „geschlechtergerecht“ sein zu wollen. „Der Tod ist eine Meisterin oder ein Meister aus Deutschland!“ Eine solch bürokratische Formulierung zielt am eigentlich Gemeinten vorbei. Der Satz braucht einen klaren menschlichen Akteur. Einen! Nicht zwei! Und mit lyrischer Sprache hätte es eh nichts zu tun.
Wenn die Sprachgemeinschaft es partout will, dann „geht“ Gendern natürlich. „Gehen“ tut ja bekanntlich sehr viel. Die Frage ist nur: Zu welchem Preis? Wie fühlt es sich an? Welche Tendenzen und Konflikte in der Gesellschaft verstärkt es? Festzustehen scheint mir: Gendern macht die Sprache ärmer, umständlicher, kälter, eckiger. Es macht soziale Unterschiede sichtbarer. Es macht das Sprechen befangen. Es macht (zusammen mit weiteren Formen sprachlicher „Überkorrektheit“) weltanschauliche Unterschiede im Alltag permanent sichtbar und polarisiert die Gesellschaft damit weiter. Wer gilt noch als „fair“ und „gerecht“ und wer nicht mehr? Und bestimmte Dinge „gehen“ gegendert tatsächlich nicht mehr.
Verschwundene (männliche) Sklaven – Wie Gendern unsichtbar macht
Ein Beispiel: Die offizielle deutsche Übersetzung des berühmt gewordenen Gedichts „The Hill We Climb“ von Amanda Gorman, das diese bei der Amtseinführung von Joe Biden vorgetragen hat. Im Original bezeichnet sich die Autorin als „Descended from Slaves“. Sie meint natürlich ihre Abstammung von schwarzen Sklaven in den USA, Frauen wie Männern.
Die deutsche Übersetzung lässt sie aber nur noch von ihren weiblichen Vorfahren sprechen, den „Sklavinnen“. Die Übersetzerinnen wollten unbedingt gendern. Im Deutschen hätte das Versmaß aber das Wort Sklav*innen oder die Worte Sklavinnen und Sklaven nicht vertragen. Der generische Begriff Sklave, den wir alle immer richtig verstanden haben, sollte tabu sein. So verschwanden die männlichen Sklaven aus dem Gedicht.
Hier zeigt sich das Problem: Bestimmte Dinge können gegendert nicht mehr im Deutschen gesagt werden, etwa wenn das Klangliche von Lyrik erhalten bleiben soll. Natürlich kann man – wie in diesem Fall geschehen – die inhaltliche Änderung zu einer inhaltlichen Absicht erklären („feministische Perspektive“). Aber auch dann bleibt es dabei: Das Gedicht könnte gar nicht mehr in seiner genauen Bedeutung übersetzt werden. Es muss inhaltlich geändert werden.
Schlafende Wachende! Zensierte Grammatik als Pfad in den Unsinn
Ein weiteres Beispiel: Judith und Christian Vogt haben ihren Roman „Wasteland“ weitgehend in Gendersprache geschrieben. Es finden sich zwar weiterhin Sätze wie: „Hinterher ist man immer klüger.“ Aber Personenbezeichnungen werden „gendergerecht“ geschrieben. Die Autoren sehen ihren Roman als Beispiel dafür, dass Vorbehalte gegen das Gendern in der deutschen Kultursprache unbegründet seien. Meiner Ansicht nach zeigen sie aber die Grenzen des Genderns auf. Denn die Vogts vermeiden schlicht bestimmte Wörter und „formulieren“ um sie „herum“. Natürlich „geht“ das. Natürlich können viele Vokabeln aus dem Wortschatz gestrichen werden. Man kommt trotzdem irgendwie zurecht. Aber es ist eben ein Verlust für die Sprachgemeinschaft und insbesondere für alle Freundinnen und Freunde eines üppigen vielfältigen Schreibens und Sprechens. Judith und Christian Vogt umgehen in ihrem Roman etwa die „Marktbesucher“, indem sie schreiben:
„Für die, die den Markt besuchen, gibt es bei den Baracken ein Badehaus.“ Und sie vermeiden das Wort Wächter und formulieren: „Das Haus befindet sich nah an der Grenze und auch nah an den Wachbaracken, sodass die Wachenden einem die Hand wieder festzurren, sobald man die Baracke verlässt.“ So kann man es sagen. Aber was passiert, wenn die Wachenden während ihres Dienstes einschlafen? Sind es dann die schlafenden Wachenden? Selbstverständlich lässt sich für diesen Fall eine andere Formulierung finden, oder man verzichtet als Autor schlicht darauf, die Wachenden einschlafen zu lassen. Das zeigt ein weiteres Mal: Gendern bedeutet Amputation sprachlicher Möglichkeiten.
Die Gläubigerin oder der Gläubiger
und ihr*e oder sein*e Schuldnerin oder Schuldner
Der sprachliche Umgang mit der Schuld wird nicht nur in der religiösen Sphäre kompliziert. Eines „aufgedunsenen“ Codes werden wir uns auch in Gesetzestexten, Verordnungen und Satzungen befleißigen müssen, wenn nun ständig benannt werden soll, dass es verschiedene Geschlechter gibt. Hier wird nämlich besonders oft ein Wort für jeden gebraucht als Platzhalter-Subjekt oder -Objekt im Singular. Man nehme etwa § 528 aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Hier geht es nicht um Schuld sondern um Schenkungen. Auch die werden kompliziert. Zum Vergleich[1]:
§ 528 Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers
Soweit der Schenker nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen angemessenen Unterhalt zu bestreiten und die ihm seinen Verwandten, seinem Ehegatten, seinem Lebenspartner oder seinem früheren Ehegatten oder Lebenspartner gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen, kann er von dem Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern.
§ 528 Rückforderung wegen Verarmung des Schenkers oder der Schenkerin
Soweit der Schenker oder die Schenkerin nach der Vollziehung der Schenkung außerstande ist, seinen oder ihren angemessenen Unterhalt zu bestreiten und die ihm oder ihr seinen oder ihren Verwandten, seinem Ehegatten oder seiner Ehegattin oder ihrem Ehegatten oder ihrer Ehegattin, seinem Lebenspartner oder seiner Lebenspartnerin oder ihrem Lebenspartner oder ihrer Lebenspartnerin oder seinem früheren Ehegatten oder Lebenspartner oder seiner früheren Ehegattin oder Lebenspartnerin oder ihrem früheren Ehegatten oder Lebenspartner oder ihrer früheren Ehegattin oder Lebenspartnerin gegenüber gesetzlich obliegende Unterhaltspflicht zu erfüllen, kann er oder sie von dem oder der Beschenkten die Herausgabe des Geschenkes nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung fordern.
[1]Herzlicher Dank an Dr. Richard Fux für einen wertvollen Hinweis zum Thema Gendersprache in Rechtstexten.
An § 528 BGB wird besonders deutlich, wie absurd eine konsequent „durchsexualisierte“ Sprache wäre. Denn die Benennung der Geschlechter muss hier mit weiteren Faktoren kombiniert werden. So muss die Lebenspartnerschaft parallel zur Ehe in Rechtstexten noch für lange Zeit mitgenannt werden, obwohl sie eigentlich 2017 zugunsten der „Ehe für alle“ abgeschafft wurde. Denn existierende Lebenspartnerschaften bestehen weiter und müssen nicht in eine Ehe überführt oder aufgelöst werden. Zwar durften Verpartnerungen nur zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren geschlossen werden, nicht zwischen Mann und Frau. Spätestens mit dem kommenden Selbstbestimmungsgesetz aber kann ja jeder Mann und jede Frau jederzeit das Geschlecht wechseln. Aus ehemals homosexuellen Paaren können so jederzeit heterosexuelle Paare werden. Alle sich daraus ergebenden denkbaren Kombinationen müssen von Rechtstexten abgebildet werden. (Und dabei sind die nicht-binären Menschen noch nicht einmal „mitgedacht“.)
Auch die Absurdität der Verwendung des Partizips Präsens anstelle des Substantivs wird hier besonders deutlich. So würde es geradezu verheerende Rechtsfolgen haben, wenn „der Schenker“ durch „den Schenkenden“ ersetzt würde. Denn der § 528 BGB beruht ja darauf, dass der Vorgang der Schenkung abgeschlossen und nicht noch im Gange ist („nach der Vollziehung der Schenkung“).
Ein gelungenes Video zur Gendersprache
Fazit zum Kultur-Problem
Problem für den Alltag
Gendern zwingt die Geschlechteraufteilung in alles Denken über die Welt hinein – auch da, wo sie nicht gemeint ist. Die Perspektive in Prosa, Lyrik, Philosophie, Recht wird verzerrt.
Verlust für die Sprache
Wir verlieren den unbefangenen und direkten Zugriff auf das kulturelle Erbe in deutscher Sprache. Treffsicherheit und Schönheit der Sprache nehmen schweren Schaden.
„Das Haus befindet sich nah an der Grenze und auch nah an den Wachbaracken, sodass die Wachenden einem die Hand wieder festzurren, sobald man die Baracke verlässt.“ So kann man es sagen.
Nein. Es ist immer noch falsch gegendert. Es muss heißen, „… sodass die Wachenden eine*r*m die Hand wieder festzurren … “ Also – die haben es auch nicht richtig hingekriegt :-).
Zum“Tod als Meister aus Deutschland“. Hier kann ich selbst eingefleischten Genderverfechtern klar machen, dass das Gendern hier komplett falsch ist. Der Tod ist keine Personenbezeichnung und hat kein Geschlecht. Genauso wenig wie ein Tisch oder ein Haus oder die Stadt. Insofern verbietet sich hier das Gendern sowieso. Dass wir es hier mit einem Prädikatsnomen zu tun haben, tut nichts zur Sache. Die müssen nicht im gleichen Geschlecht stehen, das geht ja auch gar nicht! Beispiel: „Dieser Tisch ist ein tägliches Ärgernis.“(der Tisch, das Ärgernis) „Die Leiche war ein Mann.“ – Auch, wenn man dem Subjekt ein gewisses Handeln unterstellen kann, wird es damit nicht zur Person: „Die Stadt ist Arbeitgeber von 160 Personen.“ oder: „Schokolade ist ein Dickmacher“.
Danke für den Hinweis bezüglich der Wachenden! Tatsächlich müssten Genderer es so formulieren, wie Sie schreiben. Und tatsächlich sind die benannten Autoren da inkonsequent. Das Problem an der Inkonsequenz ist ja: erst werden wir durchs Gendern darauf trainiert, bei der grammatisch maskulinen Form nur noch Männer zu sehen. Und dann sehen wir irgendwann auch nur noch Männer, wenn es grammatisch männlich zugeht. Wenn dann ein maskulines Indefinitpronomen wie „einem“ verwendet wird, entsteht so neuerdings das „erlernte“ Gefühl einer „Diskriminierung“, das früher beim besten Willen niemand empfunden hat.
Beim „Tod als Meister aus Deutschland“ muss ich Ihnen etwas widersprechen. Genderern geht es ja nicht um den „Tod“. Diese sehen nur den „Meister“. Gendernde würden deshalb zum Beispiel formulieren: „Ein Leben als Bundeskanzler*in ist bestimmt anstrengend.“ Sobald in einem Satz zwei Elemente gegendert werden müssten, neigen Gendersprachler allerdings dazu, Ausweichformulierungen zu verwenden. Und genau da setzt ein – meines Erachtens leider oft übersehener – großer Verlust für die Sprache an. Ein Satz wie „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ würde schlicht nicht mehr gebildet werden. Man kann es ja auch irgendwie anders sagen.
Das erleben wir gerade mit dem Satz „… und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.“ Hier soll es jetzt ja zum Beispiel heißen: „… und fragen Sie in Ihrer ärztlichen Praxis oder Apotheke nach.“ Die Sprache wird dadurch „entmenschlicht“. Institutionen treten an die Stelle von Menschen: ärztliche Praxis statt Arzt. Unpräzise ist das obendrein. Denn relevant ist ja die Kompetenz einer Person, eben des Arztes und nicht der Ort. In der ärztlichen Praxis könnte ich auch die Sprechstundenhilfe fragen. Das ist aber nicht gemeint. Den Arzt jedweden Geschlechts könnte ich dagegen auch auf der Straße fragen – und das Gemeinte wäre erreicht.
Diese Webseite zeigt sehr deutlich, dass Gendern undurchdachter Aktionismus am ungeeigneten Objekt ist, unfreundlicher ausgedrückt: Gendern ist ideologiegetriebener Unsinn. Die Sprache wird als Vehikel für eine politische Agenda benutzt. Leider werden die Befürworter sich durch Argumente nicht überzeugen lassen, denn sie gehen nicht von der Sprache aus, sondern von ihrer Gender-Ideologie.
Als Sprachwissenschaftler bin ich jedoch zuversichtlich, dass eine solide Mehrheit der Sprachgemeinschaft das Gendern auch in Zukunft nicht praktizieren wird.
Ich freue mich riesig über diese Webseite und die umfangreiche Sammlung an Sprachwissen und Beispielen.
Bis vor etwas mehr als zwei Jahren habe ich mit dem Gendern herumexperimentiert, auf meiner Website und auch in Social-Media-Beiträgen. Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich das nicht aus Überzeugung mache, sondern aus einer unterschwelligen Angst davor, sonst in meiner Social-Media-Blase geächtet zu werden. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, was das Gendern für eine perfide Angelegenheit ist und wie sich sein fortschreitender Erfolg erklären lässt. Seitdem versuche ich, so gut ich kann, mich nicht durch moralische Erpressung vereinnahmen zu lassen. „Wachende“ wird es in meinen Texten nicht geben, außer, ich schreibe über Leute, die gerade wach sind und folglich nicht schlafen. Hauptberuflich habe ich jedoch keine Wahl. So viel zur Aussage, es sei ja alles ganz freiwillig.
Behörden, Arbeitgeber und Medien sitzen am längeren Hebel. Und wenn sogar Autoren und Schriftsteller jeglichen Geschlechts dabei mitmachen und darauf dringen, dass es mega wichtig sei, bleiben bei mir ein unterschwelliges Schamgefühl und eine gewisse Unsicherheit zurück. Vielleicht bin ich ja doch ein schlechter Mensch, weil ich andere angeblich sprachlich ausgrenze.
Dennoch sind sich mein Verstand und mein Bauchgefühl einig. Das Gendern, so wie es im Moment betrieben und ausgeweitet wird, ist eine ungute Sache, die eher schadet, als nützt.
Sehr gute, einleuchtende Aufsätze zu den grundlegenden Missverständnissen und zur Fehlerhaftigkeit der Gendersprache, zu ihrem Mangel an Logik, an Gerechtigkeit und an Ästhetik. Ich habe den Artikel mal in meine HP aufgenommen, allerdings im Moment noch unsichtbar, weil ich auf der HP einiges neu ordnen muss.
Zum Thema „Wertschätzung“ und „Höflichkeit“: Mir scheint, manche Frauen wollen hofiert werden und suchen Ersatz für die Zeit, in der sie Feuer für ihre (oder für seine) Zigarette angeboten und in den Mantel geholfen bekamen.
Ich bin lieber ein guter Kamerad! Ein solches Bewusstsein von selbstverständlicher Gleichstellung wünsche ich allen, die Angst haben, nicht „gesehen“ zu werden.