„wertschätzend“
„gerecht“
„fair“
„höflich“
Das Framing rund ums Gendern
Als „moralisches“ Argument für die Gendersprache wird häufig angeführt, schon die Höflichkeit gebiete es, die Frauen stets ausdrücklich mitzubenennen. Aber mangelte es der „alten“ Welt mit ausgeprägtem generischem Maskulinum denn an Höflichkeit gegenüber den Frauen? Ich halte das für hergeholt. Die längst vergangenen Zeiten, in denen Frauen kein Bankkonto ohne die Zustimmung ihres Mannes eröffnen konnten, waren in Sachen Höflichkeit und Ritterlichkeit sogar äußerst vorbildlich. Frauen wurde in den Mantel geholfen, die Tür aufgehalten und Platz gemacht in der Straßenbahn, letzteres vielleicht verbunden mit einer kurzen angedeuteten Verbeugung. Beim Überqueren der Straße – man sieht es in alten Filmen manchmal – umschirmte der Herr mit einem Arm die Dame: Vielleicht stolpert das arme Ding ja oder sieht das heranrauschende Auto zu spät. Und damals hat es manche kultivierte Frau sicher als unhöflich empfunden, wenn sie im Beisein eines Herrn mit gesunden Armen höchsteigenhändig ihren Mantel von der Garderobenstange greifen musste. Heute ist den Frauen derlei Höflichkeit schnurz. Ihnen ist das Wahlrecht wichtiger. So ändern sich die Zeiten.
Was man als höflich empfindet und was nicht, ist erlernt, „sozial konstruiert“. Zur Legitimation der Gendersprache wird nun eine neue Unhöflichkeit konstruiert. Aber kein Mensch und auch keine „Menschin“ hat das Weglassen der Doppelnennung in funktionalen Zusammenhängen früher auch nur ansatzweise als unhöflich empfunden. In Briefen und bei Festanlässen war die Extra-Nennung der Damen schon immer Usus. Hier genießen die Frauen sogar das Privileg der Erstnennung: „Sehr geehrte Damen und Herren!“
Und wenn es ein Problem mit Höflichkeit gäbe, dann hätte es den Männern in der Vergangenheit immer einen kleinen Stich ins Herz verpassen müssen, wenn die Frauen andauernd zuerst genannt werden. Männer könnten sich sogar durch das generische Maskulinum gedemütigt fühlen. Denn für Frauen gibt es ein eigenes Wort: „Die Duschen für die Sportlerinnen befinden sich rechts.“ Wenn ausdrücklich nur Männer gemeint sind, muss dagegen ein Adjektiv zur Hilfe genommen werden: „Die Duschen für die männlichen Sportler befinden sich links.“ Kurzum: Was als höflich oder unhöflich empfunden wird, ist eine Frage der gesellschaftlichen Konvention.
Woher kommt die Wut aufs Gendern?
Ich höre beim Argument „Höflichkeit“ die Nachtigall trapsen. Ihr Name ist „emotionale Erpressung“. Es mag sein, dass dies oft keine bewusste Absicht ist. Aber mit der Setzung, die Gendersprache sei „gerecht“, „fair“, „wertschätzend“ und ein Gebot der „Höflichkeit“, werden Pflöcke in den Diskussionsboden gerammt, die jeden Widerspruch als „unanständig“ erscheinen lassen. Kein Wunder, das manchem Gegner die emotionale Hutschnur platzt. Denn moralische Abwertung taugt als Grundlage für die oft geforderte Gelassenheit in der Debatte nicht.
Kein Projekt, das aus den Büros und Fabriken der „normalen“ Leute kommt
Die Gendersprache ist kein Projekt, das aus den Büros und Fabriken der „normalen“ Leute kommt. Sie ist kein Projekt, das von der Straße kommt. Sie ist kein Projekt, das aus dem Alltag kommt. Sie ist ein „akademisches“ Projekt. Die Gendersprache ist die Lösung eines Problems, das sie selbst erst erschafft. Sie „erzeugt“ erst das Bewusstsein für ein Problem, das nun zu lösen sei. Ich bestreite nachdrücklich, dass etwa wir als Rundfunkschaffende bisher in erster Linie Programm für Männer gemacht haben und die Frauen bloß „mit“-gemeint waren. Nein, sie waren immer „genauso“-gemeint wie die Männer und haben sich auch immer genauso angesprochen gefühlt. Das gilt, wenn wir uns an „unsere Zuschauer in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Liechtenstein“ wenden. Und das gilt, wenn wir etwa von den „Politikern in Berlin“ reden. Frau Angela Merkel war dann nicht nur „mitgemeint“. Und die „Wähler von CDU, Grünen, SPD, FDP“? Alles nur Männer? „Die Demonstranten vor dem Reichstag“? Denken wir bei den Terroristen der „Rote Armee Fraktion“ nur an Andreas Baader und nicht auch an Ulrike Meinhof? Wen halten wir für die „Besucher“ von Cafés? Wer sind die „Teilnehmer“ einer Kreuzfahrt? Alles nur Männer? Sind die „Bewohner von Seniorenheimen“ für uns immer nur Männer, die in Häusern leben, die sowieso nur für Senioren und nicht auch für Seniorinnen gebaut wurden? Und wenn jemand „dringend zum Arzt“ muss, denken wir dann: „Warum will er denn partout nicht zu einer Ärztin gehen?“
Niemand denkt so. Niemand hat so gedacht. Nicht im Traum.
Der Putzteufel ist typisch männlich! – Die Korruption ist typisch weiblich! Wirklich?
Sprache funktioniert im Kontext. Deutlich wird das auch am grammatischen Geschlecht von Substantiven. Hier liegt das Weibliche vorn: Laut Duden verlangen 46 % der Substantive den weiblichen Artikel „die“. Durch den männlichen Artikel „der“ werden nur 34% der Hauptwörter begleitet. 12% benötigen das neutrale „das“. Wenn grammatische Geschlechter aus sich heraus zu Assoziationen verleiten, dann müssten wir „die Person auf der Fahrbahn“ gedanklich eher für eine Frau halten, weil „Personen“ grammatisch weiblich sind. Aber funktioniert sprachliche Wahrnehmung so? Sind „die Gewalt“, „die Korruption“ und „die Diktatur“ etwas, das uns eher an Frauen denken lässt? Und erzeugen „der Frieden“ und „der Kompromiss“ im Kopf das Bild eines Mannes? Es müsste doch wenigstens ein bisschen so sein, wenn Sprache so sehr das Bewusstsein prägen sollte. Ist „die Koryphäe“ eher eine Frau und „der Putzteufel“ eher ein Mann? Wir haben es hier mit dem Genus nicht dem Sexus zu tun: „der Zuschauer“, „die Person“ und „das Opfer“ können Mann, Frau oder ein diverser Mensch sein. Auch unser sprachliches „Unterbewusstsein“ sieht das so. Der übliche Sprachgebrauch und der konkrete Kontext bestimmen das Verständnis. Und so ist es natürlich auch beim generischen Maskulinum.