Kunstfehler Gendern
Der strukturelle Irrtum bei der Sprachoperation
Gendern – ein Versuch den Kreis quadratisch zu machen.
Die Gendersprache stellt – meiner Ansicht nach – den seltsamen Versuch dar, das generische Maskulinum gleichzeitig zu beseitigen und zu erhalten. Ihr staunt jetzt vielleicht. Mit dem Gendern wird das generische Maskulinum auch erhalten? Wie das? Schauen wir uns dafür an, was den Kern der generisch maskulinen Ausdrucksweise im Deutschen ausmacht:
Die maskuline Form bildet immer die Grundform: der Bäcker, der Sportler, der Drucker. Aus dieser Grundform wird alles weitere abgeleitet. Zum Beispiel:
- Der Gegenstand als Ersatz der Person: Drucker (als Apparat)
- Der Betrieb: Drucker-ei
- Das Berufsfeld: Drucker-handwerk
- Das Zubehör: Drucker-schürze
- Die Stellung: Drucker-geselle
- Das Ereignis: Drucker-eien-sterben
- Und eben die Frau: Drucker-in
Wenn man so will, liegt hier der diskriminierende Kern des generischen Maskulinums, fest verbaut im Gebälk der deutschen Sprache. Die Frau befindet sich sprachlich gleichrangig auf der Ebene der Druckerschürze. Sie ist ein „Anhängsel“ an den Drucker. In der Logik der Gendersprache soll die Frau dem Mann nun gleichgestellt werden, indem die Grundform erweitert wird zu Drucker*in bzw. Drucker*innen. Dann muss es heißen: Drücker*innenschürze. Und der Betrieb muss Drucker*inei heißen (oder in der partizipialen Ausweichkonstruktion: Druckendenei). Und wenn unter Ingenieuren in Zukunft nur noch männliche Ingenieure verstanden werden sollen, dann muss es unbedingt Ingenieur*insleistung heißen. Sonst brächten die Frauen in diesem Beruf ja nichts zustande.
Das strukturell Dysfunktionale dabei: Durch das Gendern sollen Substantive und Pronomen zwei grammatische Zustände gleichzeitig besitzen können. „Jede*r Bäcker*in“ – der grammatische Zustand dieses Begriffs ist gleichzeitig feminin und maskulin. Wann hat so etwas je in einer Sprache gegeben? Das ist so, als sollten die Zustände der Verben „gehen“ (Präsens von gehen) und „gingen“ (Präteritum von gehen) gleichzeitig gesagt werden können, etwa als geh*ingen. Das Wort soll dann gleichzeitig das Gehen in der Gegenwart wie in der Vergangenheit ausdrücken. Das kann nicht sinnvoll funktionieren! So etwas wird immer stören im Sprachgebrauch.
Die Gendersprache ist vergleichbar mit dem Versuch eines Arztes, den rostigen Nagel im Bein des Patienten lassen zu wollen und ihn stattdessen mit allerlei Antibiotika, Schmerzmitteln und gutem Zureden am Leben halten zu wollen. Wenn das generische Maskulinum wirklich „ungerecht“ sein sollte, dann kann es nur eine vernünftige und praktikable Lösung geben: die Abschaffung der weiblichen Endung. Im Englischen, Türkischen oder Finnischen gibt es keine weibliche Endung oder es fehlen sogar grammatische Geschlechter. Im Englischen etwa heißt es „the baker“ für alle Geschlechter. Was liegt also näher als es diesen Sprachen gleichzutun und die weibliche Endung einfach zu streichen. Man kann einwenden: Im Deutschen gibt es aber noch den Artikel. Es heißt ja „der Bäcker“. Soll es dann vielleicht „die Bäcker“ statt „die Bäckerin“ heißen? In der Tat wäre das eine Möglichkeit, die Umstellung aber sicher sehr gewöhnungsbedürftig. Genauso wie die Einführung eines einheitlichen Artikels: „das Frau“ und „das Mann“. Ein anderer Weg wäre es, im Singular tatsächlich nur noch die maskuline Form zu verwenden. Denn zum Glück ist das Deutsche ja gar nicht so sexistisch wie viele glauben. Wie wir gesehen haben, gibt es „generische“ Feminina. Ohne weibliche Endung wäre Deutsch also ausgesprochen geschlechtergerecht. Die Männer „kriegen“ den Singular und die Frauen den Plural und die Höflichkeitsform. Wäre das nicht ein „fairer“ Deal? Wenn es nur noch „der Bäcker“ heißt, dann wird dies gedanklich genauso geschlechtsneutral verstanden wie „the baker“ und wie heute schon „die Bäcker“ im Plural. Und genauso neutral wie „die Person“. Und wer aus alter Gewohnheit dann doch nochmal „die Bäckerin“ sagt, sorgt für zusätzliche Sichtbarkeit von Frauen.
Oder wir lassen die Sprache mit ihren Regeln wie gehabt, inklusive generischem Maskulinum. „Natürliches Gendern“ wird auch dann zunehmen – ganz von allein, ohne „geschlechtergerechte“ Sprache. Denn Frauen nehmen in der öffentlichen Sphäre immer mehr Raum ein und werden deshalb immer häufiger extra benannt – ganz gemäß den bestehenden Regeln unseres Sprachgebrauchs. Diese besagen nämlich:
- Je eher konkrete Menschen gemeint sind, je persönlicher der Kontext ist, umso eher werden beide Geschlechter benannt. Auf Betriebsfeiern danken Chefinnen oder Chefs schon lange ihren „tollen Kolleginnen und Kollegen“.
- Die grammatisch maskuline Form bleibt sinnvoll, wenn Menschen allgemein als Träger bestimmter Eigenschaften oder Funktionen gemeint sind. Durch den „Lieferanteneingang“ gehen „Dienstleister“ aller Geschlechter. Und wenn wir über „Wähler“, „Radfahrer“ oder „Hoffnungsträger“ berichten, dann meinen wir natürlich gleichwertig Menschen jedweden Geschlechts.
Unsere Sprache braucht eindeutige Platzhalter-Substantive und Pronomen. Jede funktionierende Sprache hat und braucht eindeutige generische Grundformen.
Die Sprache braucht generische Formen – der Tag ist der hellichte Tag und manchmal auch Tag und Nacht
Jede Sprache braucht ein Wort für alle und jeden. Auch wenn es nicht um Personen geht, werden generische Formen gebraucht und angewendet, ohne dass es zu Problemen führt. Der Kontext erhellt, wie es gemeint ist. So ist der „Tag“ einerseits der Teil des Tages, an dem es hell ist – im Gegensatz zur Nacht. Aber zum Beispiel der 24. Juli ist auch „ein Tag“, und zwar inklusive der Nachtstunden dieses Tages. Niemals ist das Bedürfnis entstanden, dies zu ändern, weil es „missverständlich“ sei.
Das „generische Femininum“ und der Mythos von der sexistischen deutschen Sprache
Die Gendersprache verdankt ihre Existenz der Grundannahme, das Deutsche sei eine sexistische Sprache. Das ist sie aber nicht, zumindest nicht in dem Ausmaß, das unterstellt wird. Wie wir gesehen haben, muss schon stark angezweifelt werden, dass das generische Maskulinum „sexistisch“ wirken könnte. Hinzu kommt: Es gibt im Deutschen auch „generische Feminina“. Sie fallen bloß nicht auf – weil sich keine Aktivisten daran reiben. So werden Männer im Plural, in der Höflichkeitsform und in der „pluralen“ Vertraulichkeitsform überwiegend wie die Frauen mit weiblichen Artikeln und Pronomen angesprochen. Konkret:
Im Singular sind Männer noch gleichgestellt:
„Die Frau hat ihren eigenen Kopf.“ (weiblicher Artikel + weibliches Pronomen)
„Der Mann hat seinen eigenen Kopf.“ (männlicher Artikel + männliches Pronomen)
Aber Achtung! Jetzt wird es „unfair“:
„Die Frauen haben ihren eigenen Kopf.“ (weiblicher Artikel + weibliches Pronomen)
„Die Männer haben ihren eigenen Kopf.“ (weiblicher Artikel + weibliches Pronomen)
„Unfair“ geht es weiter mit den pronominalen Anredeformen:
„Hören Sie, Frau Yilmaz, Ihr Beitrag ist sehr schön“ (weibliche Pronomen)
„Hören Sie, Herr Meyer, Ihr Beitrag ist sehr schön“ (weibliche Pronomen)
„Ihr Frauen habt Eure Arbeit gut gemacht.“ (weibliche + neutrale Pronomen)
„Ihr Männer habt Eure Arbeit gut gemacht.“ (weibliche + neutrale Pronomen)
Und warum soll weiterhin möglich sein: „alle, die … ?“ Aber nicht mehr: „jeder, der … ?“
Die deutsche Sprache ist bereits „gerechter“ als die meisten denken. Mal sind wir alle „Männer“ (generisches Maskulinum) und mal sind wir alle „Frauen“ (Plural + Höflichkeitsform). Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hat gegen diese Argumentation vorgebracht, dass das „generische Femininum“ eigentlich keines ist, weil es im Dativ nicht gilt. In allen anderen Fällen sind Plural und Höflichkeitsform identisch mit der weiblichen Form. Das hält er aber für bedeutungslos, weil – so verstehe ich ihn sinngemäß – der Kontext klar macht, dass hier keine wirklich geschlechtliche Aussage gemacht wird. Bei dem Satz „Herr Müller, Sie haben ihre Tasche vergessen!“ denkt Herr Müller schließlich nicht an den Dativ. Er weiß einfach ohne nachzudenken, dass „sie“ und „ihre“ in diesem Zusammenhang geschlechtsneutral, also generisch zu nehmen ist. Eben das kann auch für das generische Maskulinum vorgebracht werden. Kontext ist alles! Das generische Maskulinum ist „durchlöchert“ an anderer Stelle als das generische Femininum, nämlich da, wo eine konkrete Frau gemeint ist. Ein konkreter Mann „muss“ sich in den meisten Fällen in der Höflichkeitsform mit weiblichem Artikel und femininen Pronomen ansprechen lassen. Eine Frau wird nur dann generisch maskulin angesprochen, wenn es ganz allgemein um Menschen mit bestimmter Eigenschaft oder Funktion geht. Kurzum: Entscheidend ist immer das Verständnis im Kontext. Und deshalb zweifeln Männer nicht aus grammatischen Gründen an ihrer Männlichkeit, wenn sie gesiezt werden oder plural gemeint sind – so wie Frauen niemals ein schlechtes Gefühl haben, wenn sie statt einer Kundinnentoilette nur eine Kundentoilette vorfinden.
Lena ist eine Autorität – und Ben ist ein Autoritäter?
Konsequenterweise müsste sich das Gendern auch nicht nur auf generisch männliche Wörter beziehen wie etwa „Wissenschaftler“ oder (gemäß neuem Online-Duden) Leutnant (Leutnantin). Es müssten auch generisch feminine Begriffe wie „Koryphäe“ oder „Autorität“ gegendert werden. Beispiel: „Ben ist als Wissenschaftler eine Autorität.“ Für Lena wird der Satz schon heute „geschlechtergerecht“ angepasst: „Lena ist als Wissenschaftlerin eine Autorität.“ Für Ben bleibt es aber bei „die“ Autorität, obwohl auch die Wortendung „-ät“ immer auf ein „weibliches“ Wort (Majestät, Kapazität) verweist. Konsequent gegendert müsste es etwa heißen: „Ben ist als Wissenschaftler ein Autoritäter.“ Natürlich wäre solch ein Anpassung unnötig und unsinnig. Ben bleibt ein Mann auch als „die Autorität“. Er versteht das und alle anderen tun das auch.
Gendern wird eigentlich nur von Menschen befürwortet, die wenig Ahnung von Sprache und sehr viel mehr Ahnung von „richtiger“ Gesinnung haben … oder ein ideologisches Brett vorm Kopf.