Berufswahl-Mythen

Mit der Sprachrakete ins Weltall

Studien I – Warum Frauen seltener Astronaut werden

Denn sie wissen nicht, was sie tun.

Identitätspolitischer Glaubensatz über Frauen und ihre Berufswahl

Eine Studie mit dem Titel „Yes, I can!“ wird besonders oft zitiert, wenn die positive Wirkung „geschlechtergerechter“ Sprache belegt werden soll. In dieser Studie wurden 591 deutschen und belgischen Grundschulkindern Berufsbezeichnungen vorgelegt, mal nur in der generisch maskulinen Form (Erfinder, Kosmetiker) und mal in Form der Doppelnennung: Erfinder und Erfinderinnen, Kosmetiker und Kosmetikerinnen. Das Ergebnis der Studie wird allerdings oft irreführend wiedergegeben.

Beispiel: Ein Interview der Frankfurter Rundschau vom September 2020 mit Sabine Sczesny, Sozialpsychologin und dezidierte Befürworterin der Gendersprache. Sie bezieht sich ganz offensichtlich auf diese Studie und bewertet deren Ergebnis so: „Wenn die Bezeichnungen sowohl männlich als auch weiblich waren, interessierten sich mehr Mädchen für männlich typisierte Berufe wie bei der Polizei und trauten Frauen in diesen Berufen mehr Erfolg zu. Langfristig kann sich die Sprache so auf die Gesellschaft auswirken.“

Die Polizei kommt in dieser Studie zwar nicht vor. Tatsächlich aber haben in der Untersuchung Mädchen die Frage, ob sie sich etwa den Beruf des Astronauten für sich vorstellen können, ein bisschen(!) häufiger bejaht, sobald nach „Astronautin oder Astronaut“ und nicht nur nach „Astronaut“ gefragt wurde. Hinzu kommt aber ein sehr entscheidender Punkt: Bei den Jungen war das genauso! Auch Jungen trauten sich den Astronautenberuf häufiger zu, wenn die weibliche Form extra genannt wurde.

Im Klartext heißt das: Im Vergleich zu Mädchen trauen sich Jungen einen Job im All immer etwas häufiger zu – egal ob nur die männliche Form genannt wird oder beide Formen. Auch der Abstand zwischen Jungen und Mädchen ändert sich praktisch nicht. Die Studie belegt also keineswegs, dass der Frauenanteil im Weltraum durchs Gendern steigen würde. Im Gegenteil!

Was wirklich zählt auf dem Weg ins Weltall

Immerhin: Die Nennung der weiblichen Variante lässt Männerberufe für alle Kinder etwas erreichbarer erscheinen. Wäre das Gendern also zur Förderung kindlichen Selbstbewusstseins erstrebenswert? Dabei muss man sich allerdings fragen: Warum um Himmels Willen trauen sich auch Jungen den Astronautenberuf eher zu, wenn die „Astronautin“ extra genannt wird? Die Studie selbst legt folgende Antwort nahe: Tätigkeiten, die auch Frauen erledigen, erscheinen Mädchen wie Jungen gleichermaßen als „leichter“. Ursache dürfte sein, dass bisher in der Tat Frauen eher Berufe ausgeübt haben, die als weniger „kompliziert“ gelten. So haben die Studienmacher selbst etwa als typische Männerberufe ausgewählt: „Astronaut“, „Erfinder“, „Bürgermeister“. Als typische Frauenberufe haben sie dagegen gewertet: „Raumpfleger“, „Kosmetiker“, „Blumenverkäufer“. Interessanterweise haben die Jungen den Status der „Männerberufe“ auf einer Skala von 1 – 5 mit 4,09 bewertet, den der „Frauenberufe“ immerhin mit 3,19. Mich überrascht hier positiv, wieviel Respekt Jungen etwa dem Job des „Raumpflegers“ im Vergleich zum „Erfinder“ zollen. Wichtiger ist aber folgendes: Der Effekt „Frauenarbeit ist leichter“ wird verschwinden. Denn schon jetzt wandeln sich immer mehr prestigeträchtige und „komplizierte“ Berufe zu Frauenberufen. Das gilt etwa für die Gewerke Arzt und Lehrer und in begrenztem Umfang zum Beispiel auch für Architekt und Journalist. Und je mehr Frauen ihr Interesse am Maschinenbau entdecken sollten, umso mehr dürfte der Effekt entschwinden. Dann wär‘s vorbei mit dem Booster fürs kindliche Streben in den Weltraum. Der Schaden an unserer Sprache wäre allerdings schon angerichtet.

Antworten aus dem Labor

Solchen Studien ist gemein, dass die Antworten unter „Laborbedingungen“ entstehen und dann der Eindruck erweckt wird, dass der gemessene (und teils minimale) Effekt eine große Auswirkung auf die Lebensentscheidungen von Frauen und Männern habe. Aber wieviel Einfluss hat die bloße Bezeichnung „Astronautin“ auf dem langen Weg vom Grundschulkind zur Weltraumfahrerin wirklich? „Vor allem unterschätzen euphorische Exegeten solcher Tests wie so oft die eigentlich relevanten Faktoren des wahren Lebens. Aus der Sozialforschung sind die Determinanten bekannt, die bei der Berufswahl eine Rolle spielen. Schulabschluss, Arbeitsmarkt, sozialer Hintergrund, Verdienstaussichten, der Rat der Eltern, Talente und Neigungen sind nur einige davon.“ (Marcus Lorenz in „Die Welt“, 30.04.2021)

„Denn sie wissen nicht, was sie tun?“

Das Gendern soll Frauen den Weg in Männerberufe öffnen. Denn die Sprache verfestige Rollenmuster, heißt es. Vehemente Anhänger der Gendersprache sagen deshalb: Wenn wir zum Beispiel durchgehend von „Ärztinnen und Ärzten“ reden, dann fassten mehr Mädchen den Mut, ja kämen erst auf die Idee, klassische Männerberufe zu ergreifen. Aber wie kann es dann sein, dass seit Jahren mehr Frauen als Männer Ärzte werden? Jetzt schon ist jeder zweite Arzt eine Frau, Tendenz steigend. Die Medizin-Studienanfänger sind zu zwei Dritteln weiblich. Derzeit sind bereits 76% der Psychotherapeuten weiblich, die Augen- und Hausärzte schon zu knapp 50%. Bei den Chirurgen beträgt der Frauenanteil allerdings nur 15%. Kann es sein, dass berufliche Präferenzen der Frauen hier die entscheidende Rolle spielen und nicht das Gendern der Berufsbezeichnung?

Männer machen Frauen sichtbar – als Kameramänner und Techniker

Schauen wir in unsere eigene Branche, den Journalismus. Mittlerweile sind fast 50% der Journalisten Frauen, Tendenz steigend. Unter den Rundfunk-Volontären sind es schon gut 60%. Wie konnte es über die Jahre dazu kommen ohne Gendersprache? Allerdings: Wenn ich bei Xing nach „Kamerafrau bzw. Kameramann + Rundfunk und Fernsehen“ suche, dann liefert mir die Suche zu 86% Männer und nur zu 14% Frauen.

Wenn wir uns als Gesellschaft mehr Chirurginnen und mehr Kamerafrauen wünschen, dann sollten wir Mädchen und Frauen die Vorzüge dieser Berufe nahebringen. Das Gendern ist offensichtlich irrelevant. Sonst könnte es nicht so viele Psychotherapeutinnen, Augenärztinnen, Hausärztinnen und Journalistinnen geben.

Scheinwerfer-Effekt

„Sag ma‘, wer ist dein Lieblingsschauspieler? Mann oder Frau, egal.“

Reale Sprachpraxis, die Missverständnisse vermeidet – ohne zu Gendern

Eine Studie, die gern zitiert wird und als Beleg dafür dienen soll, dass Gendern Frauen „sichtbarer“ macht und sie dadurch erst eine „gerechte“ Bewertung ihrer Leistungen erfahren, fand bereits vor 30 Jahren statt. Hier war die bereits erwähnte Sabine Sczesny, Sozialpsychologin und dezidierte Befürworterin der Gendersprache, selbst beteiligt. In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau vom September 2020 erklärte sie zu dieser Studie: „Eine Gruppe von Teilnehmenden bekam die Aufgabe: ‚Nennen Sie Ihren Lieblingshelden‘, bei der zweiten Gruppe hieß es: ‚Nennen Sie Ihre Lieblingsheldin oder Ihren Lieblingshelden.‘ Die Ergebnisse waren eindeutig. Die eine Gruppe dachte an Superman und andere männliche Helden, die andere häufiger auch an Frauen, beispielsweise an die eigene Mutter oder eine tolle Nachbarin. Die Art der Fragestellung hat also einen Einfluss darauf, ob herausragende Leistungen von Frauen sichtbar werden oder nicht.“

Am Beispiel dieser Studie lässt sich gut verdeutlichen, was an den Gendersprach-Studien insbesondere kritisiert wird – nämlich, wie die Studienmacher ihre Fragen stellen und wie sie die Antworten interpretieren. Das Problem in diesem Fall: Den Probanden werden zwei Fragen gestellt, bei denen in der Sache angeblich genau das Gleiche abgefragt wird. Das stimmt aber nicht. Durch die Änderung der Fragestellung ändert sich auch das, wonach gefragt wird. Das meine ich so:

In der Studie wurde eine Gruppe gebeten: „Nennen Sie Ihren Lieblingshelden“. Diese Aufgabe verstehen viele Menschen natürlich eher als Frage nach einem allgemeinen, fiktionalen Helden. Diese Art von „Helden“ waren bisher ganz überwiegend männliche Figuren, wie Superman, Batman oder James Bond.

Für manche wird „der Held“ vielleicht auch Nelson Mandela oder Mahatma Ghandi sein, häufiger ein Mann, seltener eine Frau wie Mutter Teresa. Denn die „sichtbare“ Geschichte der Menschheit war im Bösen wie im Guten von Männern dominiert. Frauen waren seltener in einer herausgehobenen Position. Das ändert sich nun – zum Glück.

Die andere Gruppe von Studienteilnehmern wurde gebeten, „Ihre Lieblingsheldin oder Ihren Lieblingshelden“ zu nennen. Damit ändert sich die Fragestellung. Jetzt wird ausdrücklich auch nach Frauen gefragt. Diese waren bisher keine Superhelden in Filmen und deutlich seltener berühmte Helden der Geschichte. Natürlich füllt unser Gehirn die Lücke, und viele verstehen die Frage nun in einem erweiterten Sinn. Viele beziehen nun auch den Alltag ein, und plötzlich kommen als „Held“ auch Papa und Mama in Frage. Entscheidend ist also: Welche Antworten sind in dem jeweiligen Kontext überhaupt zu erwarten? Dies ist eine der großen blinden Flecken in den Gendersprachstudien. Es werden Laborsituationen geschaffen, in denen ein „passendes“ Ergebnis wahrscheinlich ist. Das mag ohne Absicht geschehen. Aber das eigene parteiische Erkenntnisinteresse wird beim Studiendesign natürlich immer eine zumindest unbewusste Rolle spielen. Bei geänderter Laborsituation kommen auch andere Ergebnisse heraus. (Mehr dazu auch hier.)

Schon bei der Frage „Wer war Dein Lieblingslehrer in der Schule“ wären Lehrerinnen wohl ähnlich stark in den gedanklichen Fokus gerückt wie ihre männlichen Kollegen. Besonders deutlich dürfte der Effekt auftreten, wenn gefragt würde: „Wer ist der größte Held in Deiner Familie?“ Es würde mich überraschen, wenn die Antworten wesentlich anders ausfielen als bei der Frage: „Wer ist die größte Heldin oder der größte Held in Deiner Familie?“

Es mag durchaus sein, dass auch bei diesen Fragen Frauen etwas häufiger in den Antworten vorkämen, sobald sie extra benannt werden. Aber wäre das dann die „richtigere“ Antwort? Ich habe Zweifel. Denn in einem Sprachsystem mit generischem Maskulinum wird eben genau dieses als neutral verstanden. Durch die Extra-Nennung der weiblichen Form wird der Scheinwerfer gesondert auf die Frauen gerichtet. Das ist so, als würde man in einer Studie der einen Gruppe die Aufgabe geben: „Nennen Sie eine Stadt!“ und der zweiten Gruppe die Aufgabe stellen: „Nennen Sie eine Stadt oder eine Stadt in Nordrhein-Westfalen!“ Ich vermute, in der zweiten Gruppe würden Köln, Düsseldorf, Dortmund, Bielefeld oder Münster plötzlich häufiger erscheinen (Scheinwerfer-Effekt).

Aber überhaupt: Auch jetzt schon „gendern“ wir bei solcherlei Fragen, wenn es um bestimmte Personen geht. In einer gemütlichen Kneipenrunde würden wir umgangssprachlich zum Beispiel fragen: „Wer ist Dein Lieblingsschauspieler? Mann oder Frau, egal.“

Und noch etwas: Wenn das generische Maskulinum zur „Unsichtbarkeit“ von Frauen führt, dann dürften die Probanden etwa von ihrem Liebling unter den Schauspielerinnen und Schauspielern generell eine falsche Vorstellung haben, egal, wie man fragt. Sie denken, es wäre Brad Pitt und nicht Angelina Jolie. Der Irrglaube kann nicht ad hoc durch eine einzige Frage aufgehoben werden. Dies zeigt: In der Studie wurden schlicht zwei verschiedene Dinge abgefragt.

Hinzu kommt: Die Anhänger der Gendersprache wollen, dass wir aufgrund solcher Studien sämtliche „Kundenparkplätze“, „Besucher-WCs“ und „Teilnehmerrunden“ umbenennen. Es wird dabei unterstellt, dass wir immer Menschen mit bestimmtem Geschlecht vor Augen haben, wenn etwa Kundenparkplatz gesagt wird. Das ist aber nicht so. Wenn jemand sagt „Ich gehe zum Bäcker“, dann sieht derjenige ein Gebäude vor sich, vielleicht die sympathische Bäckereifachverkäuferin, aber nicht den „Herrn Bäcker“ am Ofen. Und wenn jemand dann fragt: „Welchen Bäcker meinst Du?“, dann wird die Antwort eher lauten: „Den Bäcker an der Ecke, in die Stadt zu fahren ist mir jetzt zu weit.“ Keiner wird dagegen antworten: „Ich meine Heinrich Meyer, den Bäckermeister an der Ecke.“

Bei generisch maskulinen Personenbezeichnungen geht es in aller Regel um funktionale Zusammenhänge und kein Mensch im deutschsprachigen Raum hatte hierbei bisher auch nur das geringste Verständnisproblem. Oder gibt es Frauen, denen schon mal ein furchtbares Malheur passiert ist, weil sie verzweifelt die „Kundinnentoilette“ gesucht und immer nur eine „Kundentoilette“ gefunden haben. Und genau das gleiche gilt natürlich, wenn wir als Journalisten über „Beitragszahler“ berichten oder uns Gedanken um unsere „Zuschauer“ machen. Dass wir uns dagegen beim Eurovision Song Contest fragen, „welche Sängerin oder welcher Sänger gewinnt“, passt natürlich auch in eine Welt mit generischem Maskulinum bestens hinein. Genau dafür gibt es ja die gesonderte weibliche Endung – für den Fall, dass wir an konkrete Menschen denken. Und so nimmt auch auf ganz natürliche Weise die Beidnennung zu, da Frauen in der öffentlichen Sphäre eine wichtigere Rolle spielen als früher. Eine künstliche Sprachentwicklung durchs Gendern braucht es da nicht.

Falscher Sprachgebrauch

So spricht kein Mensch

Der falsche Sprachgebrauch in Studien zum Gendern

Eine weitere Studie, die gern als Beleg für die „Wirksamkeit“ der Gendersprache genannt wird, ist die „Satzergänzungsstudie“. Hier wird die deutsche Sprache schlicht nicht so angewendet, wie es im Alltag üblich ist. Die Probanden werden aufs Glatteis geführt. Im Endeffekt kommt bei der Studie sinngemäß heraus, dass Menschen sogar klassische „Frauenberufe“ wie etwa den des „Kosmetikers“ eher für einen Männerberuf halten, sobald das generische Maskulinum im Spiel ist. Dieses hat in dieser Logik die Macht, Frauen sogar vom Job der Kosmetikerin abzuhalten. Das ist natürlich Unsinn. In Wahrheit wird in der Studie nicht das Verständnis von Geschlechterrollen ergründet, sondern es werden Sprachverständnis, Sprachgefühl und Grammatik-Kompetenz getestet. Als Argument fürs Gendern kann diese Studie meiner Ansicht nach nicht gelten.

Das Problem der Studie: In ihr werden „Beobachtersätze“ falsch angewendet. Ausgangspunkte sind beschreibende Sätze eines fiktiven Beobachters einer Situation. Zum Beispiel: „Die Spione kamen aus dem Besprechungsraum.“ Der Sprecher sieht also eine Gruppe von Menschen. Wir erfahren nicht, ob es sich um eine gemischte Gruppe aus Frauen und Männern handelt oder ob es nur um Männer oder nur um Frauen geht. Dann wird der Fortgang der Situation beschrieben: „Offensichtlich war eine der Frauen verärgert.“ Die Probanden der Studie sollen nun entscheiden, ob dieser Fortsetzungssatz „passt“, also sinnvoll ist. Die meisten antworten natürlich: Nein. Denn tatsächlich würde kein deutscher Muttersprachler im normalen Leben so formulieren. Wir alle würden folgendes tun: Wenn die Gruppe der Spione nur aus Frauen besteht, würden wir schon im ersten Satz korrekterweise von „Spioninnen“ reden. Wenn es sich um eine gemischte Gruppe handelt, würden wir den zweiten Satz zum Beispiel so formulieren: „Offensichtlich war eine der Frauen unter ihnen verärgert.“ Oder: „Offensichtlich war einer der weiblichen Spione verärgert.“ Oder man würde in der gesprochenen Sprache im zweiten Satz eine ganz besondere Betonung auf das Wort „Spioninnen“ legen: „Offensichtlich war eine der Spioninnen verärgert.“ Oder wir hätten – wissend, dass wir gleich eine konkrete Frau benennen wollen – im ersten Satz schon von „Spionen und Spioninnen“ geredet. Man hätte quasi „gegendert“. Denn in der Welt des generischen Maskulinums ist die Doppelnennung natürlich üblich und angezeigt, wenn sehr konkret über Menschen gesprochen wird. Das generische Maskulinum, das nun komplett ausradiert werden soll, kommt zum Einsatz, wenn „anonym“ von Menschengruppen ganz allgemein gesprochen wird, also etwa in dem Satz: „Ein Leben als Spion ist gefährlich.“ Dieser Satz wird in einem konkreten Text- oder Gesprächszusammenhang in Bezug auf Günter Guillaume genauso selbstverständlich verstanden wie in Bezug auf Mata Hari.

Wie wenig Einfluss das generische Maskulinum in Wahrheit hat, zeigt interessanterweise eine Studie, die eine Ausgangsbasis der Studie bildet, die Nübling und Lobin zitieren. Hier wurden Menschen um Schätzungen gebeten, zu welchem Anteil bestimmte Rollen von Frauen und Männern eingenommen werden. Dafür wurde für 126 Tätigkeiten mal ausschließlich die generische Bezeichnung („Zuschauer“) genutzt, und mal wurden Doppelformen verwendet („Zuschauer und Zuschauerin“). Ergebnis: Der Unterschied in den Schätzungen war gering. Interessant ist vor allem der Blick auf einzelne Rollen wie etwa die des Zuschauers. Hier schätzten die Probanden immer, dass die Rolle fast genau zu 50% von Frauen und Männern eingenommen wird, egal ob „gegendert“ wurde oder nicht. Erstaunlicherweise ist der Frauenanteil bei der Verwendung des generischen Maskulinums sogar minimal höher als bei der Beidnennung der Geschlechter. Das zeigt, dass hier statistische Zufälle eine größere Bedeutung haben als die Variation der Bezeichnungen. Und das passiert bei einer Studie, deren Autoren sich erkennbar eher einen „Effekt“ wünschen als ihn zu bestreiten. (Anmerkung für Nachforschende: Die Studie enthält an einer Stelle einen Übertragungsfehler. Hier wird für männliche „Zuschauer“ der Anteil „40,66“ statt der korrekten „50,66“ genannt.)

Es gibt weitere Studien, die zeigen, dass Gendersprache nicht wirkt. So etwa eine Studie aus Berlin. Hier wurden Probanden gefragt, Menschen welchen Geschlechts sie vor Augen haben bei Sätzen wie „Die Besucher aus Taiwan waren vor allem an der Berliner Architektur interessiert“. Ergebnis: Die Probanden dachten gleichermaßen an Frauen wie Männer. Einen anderen Ansatz wählte eine Studie von 2008 aus dem niederländischen Leiden (auch im Niederländischen gibt es das generische Maskulinum). Hier wurde anhand von Eye-Tracking-Verfahren untersucht, wie lange Menschen brauchen, um bestimmte Sätze zu verstehen. Ergebnis: Die Probanden verstehen Sätze wie „Jeder putzte seine Zähne“ gleichermaßen für Männer wie für Frauen. Hier kam also das Gegenteil von dem heraus, was eine Pro-Gendern-Studie im selben Jahr anhand der „Spione und Spioninnen“ herausfand.

Fazit: Der genaue Blick auf vielzitierte Pro-Gendern-Studien zeigt keineswegs, dass die Gendersprache einen praktischen Nutzen für Frauen (und andere Nicht-Männer) hat. Es gibt auch kein Verständnisproblem beim generischen Maskulinum. Sonst wäre es längst modifiziert, denn eine Sprachgemeinschaft (selbst eine patriarchale) hat kein Interesse an systematischen Missverständnissen. Die Pro-Gendern-Studien provozieren oft Missverständnisse. Vielleicht ist das den Studienmachern mit ihrem „parteiischen“ Fokus gar nicht bewusst. Fatalerweise befeuern diese Studien aber Forderungen nach einer generellen Umwälzung der Sprache.

Ähnlich zu bewerten ist eine von Anhängern der Gendersprache in verschiedenen Varianten weitergereichte Geschichte. Es geht dabei um einen Vater und einen Sohn, die einen schweren Autounfall erleiden. Der Vater stirbt. Der Sohn wird schwerverletzt in ein Krankenhaus eingeliefert. Weiter geht die Geschichte dann zum Beispiel so:

Nur eine sofortige Operation kann ihn retten. Er wird in die chirurgische Ambulanz gebracht. Der Dienst habende Chirurg betritt den Raum, stammelt beim Anblick des Jungen erbleichend: „Ich kann nicht operieren – das ist mein Sohn!

Wie kann das sein? Der Vater ist tot und steht nun als Chirurg am OP-Tisch? Natürlich wird hier bloß das generische Maskulinum irreführend angewendet. Der Chirurg ist Chirurgin – und die schockierte Mutter des Kindes. Wer immer diese Geschichte erlebt und davon erzählt, würde selbstverständlich immer (!) von einer Chirurgin sprechen. Jedem wäre instinktiv klar, dass alles andere eine bewusste Irreführung wäre.

Es ist ein zentraler Denkfehler der Gendersprache: Zwei grundsätzlich verschiedene Sprechsituationen werden vermischt, in denen die Sprachgemeinschaft mit dem generischen Maskulinum schon immer grundsätzlich differenziert umgegangen ist und umgeht:

  1. Sobald wir als Sprecher konkrete Menschen vor Augen haben oder uns an sie wenden, „gendern“ wir. Wir machen das weibliche Geschlecht, ggf. auch das männliche Geschlecht „sichtbar“, sobald es für das Verständnis wichtig ist. (Man mag deshalb vielleicht zu Recht argumentieren, dass etwa bei Stellenanzeigen alle Geschlechter in der Regel benannt werden sollten.)
  2. Wir ignorieren das Geschlecht und verwenden die als neutral empfundene generische Grundform von Personenbezeichnungen, wenn wir keinen konkreten Menschen vor Augen haben und nur „anonym“ über bestimmte Menschen oder Menschengruppen sprechen. So etwa, wenn von neuen Belastungen für Steuerzahler, den Strafen für Umweltsünder oder den Bestimmungen für Kundentoiletten die Rede ist. Jeder Frau weiß und spürt stets und ständig wie jeder Mann, dass auch sie Steuern zahlen muss, für Umweltsünden bestraft und auf Kundentoiletten Erleichterung erfahren kann.

Und so legt auch niemand seinen Gesprächspartner mit der Frage rein: „Zwei Rentner sitzen auf einer Parkbank. Wie heißen sie?“ – wenn es sich dabei um einen Mann und eine Frau handelt. Jeder liefert in diesem Fall immer die wichtige Information zum Geschlecht der Personen mit. Jeder formuliert dann zum Beispiel „Ein Rentnerpärchen (nicht: Rentner*innenpärchen) sitzt auf einer Parkbank. Wie heißen sie?“ oder schlicht: „Eine Rentnerin und ein Rentner sitzen auf einer Parkbank. Wie heißen sie?“