Substantiv: kein Wort mehr für alle

Kein Wort mehr für alle

Das Substantiv-Problem

Jede*r Jeck*in ist anders!

Kölsche weisheit (Gegendert)

Den prototypischen „Teilnehmer“, „Arzt“ oder „Zuschauer“ soll es in der „geschlechtergerechten“ Sprache nicht mehr geben. Das generische Maskulinum soll abgelöst werden durch Doppel­nennungen, Partizipien, Umschreibungen und natürlich die Sternchen-Wörter (oder Gender-Doppelpunkt-Wörter). Aber was sagt man dann zum Beispiel als Journalist in einem Beitrag über verschiedene originelle Typen aus dem Rheinland. Vielen fällt da bestimmt die kölsche Weisheit ein: „Jeder Jeck ist anders!“ Das geht „gendergerecht“ nicht mehr. Definieren wir die Sache mal durch:

  • „Jede*r Jeck*in ist anders!“ Das wäre erlaubt, aber wie spricht man das aus in Radio und Fernsehen?
  • Oder wir sagen vielleicht: „Jede Jeckin und jeder Jeck ist anders!“ Gnadenlos spröde. Und obendrein sprachlich falsch. Denn hier werden die Menschen nach Geschlecht getrennt und verglichen. Ich will aber alle (!) in einem Topf haben und vergleichen.
  • „Alle Jeck*innen sind anders.“ Wieder sprachlich falsch. Denn „anders“ sein kann nur ein Einzelner im Vergleich mit einem anderen Einzelnen. Oder eine Gruppe („alle Jecken“) im Vergleich mit einer anderen Gruppe („allen Jounalisten“).
  • Es bleibt höchstens: „Alle Jeck*innen unterscheiden sich voneinander.“

Sind solche Sätze unsere Zukunft? „Alle Jeck*innen unterscheiden sich voneinander.“ Alte Kölner würden wohl sagen: Solchen Formulierungen fehlt schlicht „dat Hätz“, das Herz. Ich empfinde Gendersprache als unpersönlich, technisch und „kalt“.

Es kann die oder der Frömmste nicht in Frieden leben,
wenn es der oder dem bösen Nachbar*in nicht gefällt.

Friedrich Schiller, Wilhelm Tell (Gegendert)

Apropos kalt. Wie dichtet man gendersensibel? Was bedeutet das für unser kulturelles Erbe und unsere lyrische Zukunft? Müsste Friedrich Schiller heute zu der Erkenntnis gelangen: „Es kann die oder der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es der oder dem bösen Nachbarn*in nicht gefällt.“Würde Paul Celan uns erschüttern mit den Worten „Der Tod ist ein*e Meister*in aus Deutschland“? Würde Andreas Bourani uns im Fußballrausch Arm in Arm singen lassen: „Hier geht jede und jeder für jede und jeden durchs Feuer“. Ein Aktivist kann dazu sagen: Dann sollen sich die Dichter*innen, Bühnenautor*innen, Drehbuchschreiber*innen und Songtexter*innen eben andere Sätze ausdenken. Okay, aber genau das zeigt: Die Gendersprache nimmt Möglichkeiten und schenkt keine einzige. Vielfalt ade. Mehr zum Thema „Gendern und Kultur“ hier.

Mama! Papa! Ihr seid eine Vollidiotin und ein Vollidiot!

(Gendernde) Pubertierende zu ihren Eltern

Wie wird man gendergerecht wütend? Was zum Beispiel passiert, wenn eine Pubertierende ihren Eltern vorhält: „Ihr seid Vollidioten!“? Heißt es dann zurechtweisend: „Wenn schon, dann sind wir eine Vollidiotin und ein Vollidiot. Oder Vollidiot*innen.“ Geschlechtersensibel ausrasten – die gerechte Zukunft hält große Herausforderungen für uns alle bereit.

Oder soll sich die Alltagssprache von der offiziösen Sprache unterscheiden? „Geschlechtersensibel“ in der Öffentlichkeit sprechen und „sexistisch“ im Alltag? Darf das sein? Wohl kaum. Sagen wir also bald: „Meine Kollegin ist der oder die beste Journalist*in, den oder die ich kenne.“? Und wenn man sagt: „Meine Kollegin ist die beste Journalistin, die ich kenne.“ Wird man dann angepfiffen: „Meinst Du etwa, sie ist nur die beste Frau, und mit den Männern kann sie es nicht aufnehmen, Du Sexist.“? Oder man sagt wie früher üblich: „Meine Kollegin ist der beste Journalist, den ich kenne.“ Dann heißt es: „Sie ist kein Journalist, sondern eine Journalistin, Du Sexist.“ Ich befürchte: In Zukunft hält man besser den Mund und klemmt sich so ein Lob.

Ganz besonders im Singular ist das Gendern ein Problem. Im Plural funktionieren Sternchen oder Doppelpunkt (mehr schlecht als recht), weil übergreifend der weibliche Artikel „die“ verwendet wird und auch die Pronomen einheitlich sind. Im Singular gilt das nicht. Hier unterscheiden sich Artikel und Pronomen.

Boris Palmer ist der umstrittenste grüne Politiker.  Wie sagen wir das in Zukunft? Wohl kaum: Boris Palmer ist der oder die umstrittenste grüne Politiker*in. Darin steckt der inhaltliche Unsinn, Palmer könnte ein Politiker oder eine Politikerin sein. Es bleibt also „gendergerecht“ nur eine quälend umständliche Formulierung wie: Boris Palmer ist unter den grünen Politikerinnen und Politikern die umstrittenste Person. Prägnanz ade.

Ich bin ein Berliner und wäre, wenn ich eine Frau wäre, eine Berlinerin!

(Gendernder) John F. Kennedy

Die Sprache wird durch das Gendern unnötig sexualisiert. Deutlich wird das etwa an John F. Kennedys berühmtem Ausspruch: Ich bin ein Berliner! Dieser Satz müsste ihm heute ersatzlos aus dem Manuskript gestrichen werden. Denn die Formulierung „Ich bin ein Berliner oder eine Berlinerin“ wäre für den Mann Kennedy offenkundig unsinnig. „Ich bin eine*e Berliner*in“ wäre unaussprechbar.

Kennedy könnte seinen Satz heute „geschlechtergerecht“ nur wie folgt formulieren: „Ich bin ein Berliner oder, wenn ich eine Frau wäre, eine Berlinerin!“ Dabei wären die non-binären Berliner noch nicht einmal einbezogen. Und natürlich funktioniert so eine Rede nicht. Sie braucht Prägnanz. Vor allem aber gilt: Es kommt in diesem Zusammenhang eben grade nicht auf die geschlechtliche Vielfalt an. Kennedy wollte damals sagen, alle freiheitsliebenden Menschen sind „ein Berliner“. Einer! Einer für alle. Nicht zwei verschiedene, ähnliche Typen von Mensch. Nein: ein (!) Berliner. In der sexualisierten Sprache soll es aber kein Wort mehr für alle geben.

Sexualisierung – von der Pflicht, ständig alle Geschlechter nennen zu müssen

In jeder Nachricht, egal zu welchem Thema, egal ob wichtig oder banal, sollen wir nun stets zum Ausdruck bringen, dass sowohl von Frauen als auch von Männern als auch von Menschen mit weiterem oder ohne Geschlecht die Rede ist. Immer. Und immer wieder. Verkehrsteilnehmer*innen, Beitragszahlende, US-Amerikaner und US-Amerikanerinnen.

Vor allem sobald zwei oder mehr Personen in einem Satz vorkommen, kann es zur Tortur werden: „Fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt oder ihre Apothekerin oder Ihren Apotheker!“ Das werden wir nun ständig zu hören bekommen.

Auf dem Weg in die „entmenschlichte“ Sprache

Was wird das Ende vom Lied sein? Es wird die „Entmenschlichung“ der Sprache sein. Wir werden um Menschen herumformulieren. Wir werden ständig von Apotheken statt von Apothekern, von Praxen statt von Ärzten, von Behörden statt von Beamten reden und schreiben. Apparate, Institutionen ersetzen Menschen, Hauptsache neutral.


Fazit zum Substantiv-Problem


Problem für den Alltag

Gendern teilt Menschen auf, wo sie nicht aufgeteilt gehören. Es macht Reden und Schreiben umständlicher und unpersönlicher.

Verlust für die Sprache

Es gibt kein Wort mehr für alle. Gendern macht die Verwendung von Platzhalter-Substantiven und des Singulars oft geradezu unmöglich.

Wer glaubt, die Lösung könnte sein, von Verbrauchenden statt von
Verbraucherinnen und Verbrauchern zu sprechen, der lese bitte hier weiter:
„Wenn Mordende auf Richtende treffen – Der Missbrauch des Partizips“